Herne. . Emily Schütze (18), Spross einer Schausteller-Dynastie aus Oberhausen, kümmert sich auf Crange um das lebendige und untote Personal der „Großen Geisterbahn“.
Kann sein, das ist bloß so eine Kindheits-Idee: dass die Leute von der Geisterbahn ihrem Plastik-Personal auch optisch nahe stehen. Denn auf Crange gibt es Emily, viel zu jung für eine Untote, mit schönem langen Haar und dem Namen, der eher nach rosa Plüsch klingt als giftgrünem Gummi – diese Chefin aller Geister sieht nun wirklich nicht zum Fürchten aus.
Dabei wurde Emily Schütze vor 18 Jahren in diese Geisterbahn gewissermaßen hineingeboren. „Mein Vater und mein Großvater sind auch schon an der Geisterbahn groß geworden“, immerhin sagt sie „an“, nicht „in“, und so muss es auch bei ihr gewesen sein: das Kind in der Wiege im Wohnwagen, sein Schlaflied das Heulen, Jaulen und Drohen der Schreckgespenster im Fahrgeschäft davor. Das Leben als einzige Geisterstunde. Jeden Tag Kirmes!
Es ist ja schon seit Generationen so. Der Ur-Urgroßvater holte 1923 die erste Geisterbahn nach Deutschland; geblieben ist von ihr noch eine der alten Gestalten. Nach dem Krieg machte der Urgroßvater weiter, gerade sitzt der Opa an der Kasse, der Papa ist mit dem zweiten Geschäft (das gleiche in Grün!) unterwegs, und Emily hockt auf Crange in Omas gelbem Wagen, der auch schon bald 50 Jahre alt ist.
Oma, das ist Bärbel Schütze, die selbst als Neunjährige mit einer Taubennummer über die Jahrmärkte tourte und die all diese Geschichten erzählen kann: wie die Uroma noch mit 79 an der Kasse saß und die andere mit 87 ihr Kinderkarussell am Laufen hielt. Omas Familie stand bereits vor 200 Jahren auf dem Viehmarkt, sie selbst ist jetzt auch schon 70. Aber aufhören? „Ich bin in Rente auf Reisen. Da werden Se krank, wenn Se aufhören.“
Was also sollte aus diesem Kind werden? „Man hat’s im Blut, oder man hat’s nicht im Blut“, sagt Emily, die Oma glaubt das wirklich: Kirmes liegt in den Genen. „Mir gefällt das, wissen Sie.“ Emily hat nie etwas anderes sein wollen als Schaustellerin. Als Kind führte sie daheim in Oberhausen in den Winterpausen Strichlisten, „wann es endlich wieder rausgeht“. Ihr bürgerliches Leben dauert bis heute jedes Jahr nur drei Monate: „Weihnachtsmarkt bis Karneval.“
In der Zeit hat sie auch ihre „Stammschule“ besucht, den Rest des Jahres wöchentlich eine andere zwischen Stuttgart und Schwerin. Sie hat „das A dreimal gelernt“ und nachmittags das, was Schausteller-Mädchen können müssen: kassieren, kochen, kaputte Geister versorgen. „Emily weiß alles“, sagt Oma Bärbel stolz und muss die Enkelin mal eben küssen, weil sie bei aller Reiserei ihren Realschulabschluss gemacht hat. „Sie weiß, wie jeder Geist funktioniert!“ Emily ist die Sache ernst: „Wenn ich Ärztin wäre, könnte ich auch operieren.“
Manchmal sagt der Papa: „Du bist ja schon die Chefin“, nur stimmt das noch nicht ganz. „Tüchtig genug“ aber ist sie, findet die Oma, irgendwann wird sie die „Große Geisterbahn“ wohl übernehmen. Der Bruder ist schon selbstständig, er macht jetzt in Schießbuden, und auch Emily „will dieses Leben“. Sie hat nur wenige Freundinnen „aus privat“, wie die Schausteller sagen, ihre beste ist die Tochter vom PowerTower.
Obwohl man auch denken könnte: Eigentlich ist Emily Schütze ein komisches Kirmeskind. Sie mag keine Zuckerwatte, keine gebrannten Mandeln. Und wie sie so durch Vaters Fahrgeschäft rollt im offenen Wagen, bergab ins Dunkel, umtost von grauenhaftem Gelächter, verfolgt von finsteren Typen – da entringt sich ihrer Brust ein spitzer Schrei. Die Herrin der Geisterbahn hat Angst vor Gespenstern!
Sie mag auch keine Horrorfilme. „Ich bin so ein schreckhafter Mensch.“ Sie zeigt ihre Gänsehaut: „Man fürchtet sich jedes Mal, aber man will es trotzdem.“ Nun, das genau ist wohl Emilys Geschäft.