London. .
Die Glocken in der kleinen Backsteinkirche am Flussufer schlagen neun Uhr. Für David Barber bricht ein Tag an, der unter den kuriosen Bräuchen des Königreiches mit Abstand der sportlichste ist. Als Schwanenzähler rudert er nach altem Brauch die Themse entlang, fängt die weißen Wasservögel und zählt sie für ihre Besitzerin, die Queen. Und da die tierische Inventur für seine Männer nicht immer glimpflich verläuft, flößt er der Crew vorm Ablegen ein ermunterndes Gläschen Portwein ein.
Mit sechs historischen Holzbarken zieht Schwanenmarkierer Barber über die Themse. In Sunbury haben sie Montag begonnen, in Abingdon ist ihr Werk Freitagabend vollbracht: 79 Meilen rudern die Männer in diesen fünf Tagen, ihre Augen stets suchend auf Schilf und Wellen gerichtet, dass ihnen keine Schwanenfamilie auf der Strecke entgeht. Die Tiere sind nämlich alles andere als vogelfrei: Seit über 800 Jahren erhebt die britische Krone Besitzansprüche auf die schwimmenden Delikatessen in der Themse.
„All up“, ertönt da plötzlich der Ruf. Barber hat die ersten Schwäne mit Jungtieren entdeckt. Vorsichtig umzirkeln die Boote das Federvieh, docken dicht aneinander an, so dass einer der Männer mit beherztem Griff die schweren Tiere aus dem Wasser bugsieren kann. Doch das Manöver ist brenzlig: Unter den 15 Kilo Gewicht eines Durchschnittsschwans neigen die schlanken Holzboote sich energisch gen Wasser; die Vogeleltern picken nach Nasen, Armen, goldenen Jackettknöpfen und kämpfen um ihre drei Meter Flügelspannweite. Diesmal haben Barbers Männer Glück: Ruckzuck überrumpeln sie die Tiere, binden ihre schwarzen Füße mit Kordel zusammen und steuern zum Ufer.
Geübter Blick auf farbige Ringe
„Heute essen wir natürlich keine Schwäne mehr“, betont Barber, „und die Queen serviert sie auch nicht mehr bei festlichen Banketten.“ Doch Hunderte Jahre war dies so, weshalb das Amt des Schwanenmarkierers überhaupt geboren wurde. Könige und Königinnen wollten schließlich wissen, wie es um Nachschub ihrer Luxusspeise bestellt war. Im Mittelalter teilte der Palast sein Privileg mit Londoner Weinhändlern und Tuchmachern, deren Gilden Barber, dem Königlichen Schwanenmarkierer, auch heute noch beim Rudern aushelfen.
Ein geübter Blick Barbers auf die farbigen Ringe an den Füßen der Schwaneneltern reicht, um die Besitzverhältnisse zu klären: Da ein Tier den Tuchmachern gehört und eines der Königin, werden die vier Schwanenkinder zur Hälfte der Gilde und zur Hälfte dem Palast zugeschlagen. Flugs verpassen die Männer den fauchenden, grauen Daunen-Bündeln Ringe in den passenden Farben. Dann schaut ein Schwanen-Wart noch nach der Gesundheit der Familie, wiegt sie und misst ihre Schnabelbreite. Angelschnur, Hundebisse und Viren setzten den Wasservögeln zu und oft werden sie gleich vom Boot in ein Vogelkrankenhaus gebracht.
Schwanenbestand verringerte sich zuletzt
„Denn darum geht es uns heute“, sagt Barber, „wir überwachen und schützen ihr Wohlergehen.“ Als der Schwanenbestand sich zuletzt drastisch verringerte, kämpfte Barber dafür, dass Angler in der Themse keine Bleigewichte mehr verwenden durften. Seitdem verenden die Tiere Ihrer Majestät auch nicht mehr an Vergiftungen. Dieses Jahr ist der strenge Winter schuld daran, dass die Männer Meile um Meile rudern, ohne Schwäne mit Jungtieren zu finden. „Ob wir Freitagabend auf die durchschnittlich 50 Schwanenpaare mit Nachwuchs kommen, bezweifle ich“, seufzt er.
Durch Schleusen rudern die Männer, entlang an teuren Booten, Villen und der Henley-Regattabahn. Den Job könnte natürlich auch ein Naturschutzbund erledigen, doch was wäre England ohne seine skurrilen Traditionen?