Essen. . Mit der Hand geschrieben wird aber immer weniger. Gerade Kinder und Jugendliche sind geübt im Umgang mit Computer- und Handytastatur. Ist die Schulschreibschrift ein Kulturgut oder verwirrt sie nur? Die Experten streiten.

Lili und Rebekka ­dürfen endlich loslegen. Dürfen Schnörkel malen und Schleifen, wo vorher nur ­Striche oder Haken erlaubt ­waren. Nun, am Ende der ersten Klasse, lernen sie die „Vereinfachte Ausgangsschrift“ – und vollziehen damit die Kür im Schreiblernprozess.

Für Josef Kraus, Präsident des Deutschen Lehrerver­bandes, ist diese Phase ein sehr wichtiger Prozess. „Die Schreibschrift ist unersetzbar“, sagt er.

Mit der Hand geschrieben wird aber immer weniger. ­Gerade Kinder und Jugend­liche sind geübt im Umgang mit Computer- und Handytastatur. Wenn sie in der weiterführenden Schule Texte von Hand produzieren, schlagen die Lehrer oft die Hände über dem Kopf zusammen – sie können die Handschrift ihrer Schüler nicht mehr entziffern. Die Ursache des Schreibchaos ist für Hans Brügelmann das Nebeneinander von Druck- und Schreibschrift – und der Zwang in der Grundschule, die Buchstaben ohne Absetzen der Hand zu verbinden. „Das führt zu Verkrampfungen“, so der Siegener Professor für Grundschulpädagogik.

Diese Erfahrung macht ­gerade Schreiblernkind Rebekka. So sehr sie dem Tag entgegen gefiebert hat, an dem ihr die Lehrerin die ersten Übungsblätter aushändigt, so schnell merkt sie: Schreibschrift ist schön, aber gar nicht so einfach, wenn mit unge­lenken Fingern an schwitzenden Händen der Bleistift ­geführt werden soll.

Nach Ansicht des Grundschulverbandes, den Hans Brügelmann vertritt, lernen Kinder mit der Grundschrift schneller flüssig, leserlich und richtig schreiben. Sie können gleich am ersten Schultag damit beginnen, weil sie im Prinzip eine Druckschrift ist, die mit Bögen zwischen den Buchstaben verbunden wird.

Der Stadtstaat Hamburg hat sich nun dazu durchgerungen, den Kindern die Last des Schreibschrift-Lernens zu ersparen: Dort dürfen die Schulen künftig darüber entscheiden, ob sie das Erlernen der Schulschreibschrift einfach überspringen oder nicht. In mehreren Bundesländern laufen zudem Modellversuche, die beweisen sollen, dass sich auch ohne Schreibschrift eine individuelle Handschrift entwickelt, die an Ästhetik nichts einbüßt, die an Lesbarkeit ­allerdings deutlich gewinnt.

Dass Handschriften von ­Heranwachsenden schlecht lesbar sind, wird nicht erst in jüngerer Zeit beklagt, sagt Brügelmann. „Es gab schon immer eine Reihe von Kindern, die große Schwierigkeiten mit der Schreibschrift hatten.“ Die Lateinische Ausgangsschrift, die Jahrzehnte in Westdeutschland Standard war, sei durch „unterschiedliche Bewegungsrhythmen“ besonders schwierig. Mathia Arent-Krüber vom Verband Bildung und Erziehung pflichtet ihm bei: „Die lateinische Ausgangsschrift ist gegenläufig zur ­normalen Handmotorik.“

Argumente, die Josef Kraus vom Deutschen Lehrerverband nicht gelten lässt: „Ich halte es grundsätzlich für falsch, wenn sich die Päda­gogik der nachlassenden ­Fähigkeit der jungen Leute ­anpasst“, sagt er.

„Ganz andere Sorgen“

Und die Sache mit dem Deutschen Kulturgut Schrift? Brügelmann wischt die Sorgen des Deutschen Lehrerverbandes zur Seite. Es gehe doch gar nicht darum, die Schönschrift abzuschaffen. Es gehe darum, die Schrift lesbarer zu machen. „Es gibt viele Länder, die keine Schreibschrift lehren“, sagt er und nennt Spanien und die USA. Man könne doch nicht behaupten, dass es dort keine individuelle Schreibschrift ­gebe. Der Schriftpsychologe Helmut Ploog sieht das ganz anders: „Die USA haben ein Kulturgut verloren“, sagt er dem Portal „Welt Online“.

Für den Lehrerpräsidenten Josef Kraus ein Argument mehr gegen die Grundschrift: „Ich bitte die Pädagogik, endlich mit dem Experimentieren aufzuhören“, sagt er und fügt hinzu: „Hamburg sollte angesichts der schlechten Pisa­Ergebnisse ganz andere ­Sorgen haben.“