London. . Britische Reporter ließen Handys von Gewaltopfern knacken – Scotland Yard droht jetzt mit Haftstrafen
Enthüllungsgeschichten über Reiche und Schöne liest man gern, selten interessiert dabei, wie die Reporter an die Details kommen. Doch in Großbritannien werden nun ausgerechnet die Skandaljäger zu den Gejagten: Weil sie Handys von toten Kindern und Terror-Verletzten abgehört haben soll, steht jetzt die „News of the World“ am Pranger. Medienmogul Rupert Murdoch könnten die Methoden seiner Redaktion teuer zu stehen kommen.
Ausgerechnet heute, am Jahrestag der Londoner Terroranschläge, kämpfen die Hinterbliebenen mit neuen Hiobsbotschaften. Im größten Medienskandal des Königreiches sind sie nun von Scotland Yard kontaktiert worden, weil ihre Handys vermutlich von der „News of the World“ angezapft wurden, als ihre Angehörigen im Sterben lagen. Damit ist für viele Briten, die rüde Recherchen durchaus für sinnvoll und notwendig halten, die Schmerzgrenze überschritten.
Abgeordnete rufen Notsitzung des Unterhauses ein
Wie ernst die Lage ist, zeigte gestern eine für alle Abgeordneten einberufene Notsitzung im Unterhaus. Parlamentarier forderten darin offen den Rücktritt der verantwortlichen Führungskräfte, sofern sie „noch eine Faser Anstand besitzen“. Demnach müsste es jedoch in der Londoner Medienlandschaft bald viele offene Stellen geben. Ein Gutachten des Informationsbeauftragten der Regierung, Richard Thomas, listet nämlich Hunderte Fälle auf, in denen nahezu alle Boulevard-Redaktionen Detektive nutzten.
Während die Polizei ermittelt – sogar ihre eigene Mordkommission war von der Presse observiert worden – will Premier David Cameron eine Untersuchungskommission einrichten. Dabei ist schon jetzt klar, dass die Fährte auf den engsten Kreis des Regierungschefs weist. Und das nicht zum ersten Mal. Camerons Pressesprecher Andrew Coulson musste im Januar zurücktreten, weil er in seinem alten Job als Chefredakteur der „News of the World“ illegale Methoden abgesegnet hatte. Nun wackelt der Stuhl einer weiteren Cameron-Vertrauten. Rebekah Brooks, zurzeit Geschäftsführerin der „News of the World“, wird vorgeworfen, höchstpersönlich Privatdetektive zur „Recherche“ gebucht zu haben. Als Murdochs rechte Hand im Königreich hatte Brooks diese Praxis bisher immer als fehlgeleitetes Verhalten einiger Einzelredakteure dargestellt.
Doch Brooks trug als Ex-Chefredakteurin direkte Verantwortung für ihre Mitarbeiter, als sich der pikanteste Skandal ereignete. Im März 2002 heuerte das Blatt private Ermittler an, die sich in die Mailbox der vermissten Milly Dowler einwählten. Die Detektive erhofften sich ein paar saftige Schlagzeilen aus den Handy-Nachrichten – und löschten die verzweifelten Botschaften, die die Eltern ihrem Kind hinterließen, um Platz für neue Nachrichten zu schaffen.
Scotland Yard ermittelt
Polizei und Eltern waren deshalb lange im Glauben, dass Milly noch leben und ihr Telefon nutzen würde. In Wahrheit war die 13-Jährige bereits tot. Scotland Yard will als Konsequenz sämtliche Vermisstenfälle überprüfen, darunter auch die Handynummern der McCanns. Sollten Reporter oder Detektive Ermittlungen behindert haben, drohen ihnen Haftstrafen.
Für die „News of the World“, gegen die bereits seit 2005 ermittelt wird, ist dies jedoch erst der Anfang von einer Menge Ärger. Gestern haben viele lukrative Anzeigenkunden dem Blatt den Rücken gekehrt. Unter den Abgängen befindet sich auch Ford – mit 4,5 Millionen Euro Finanzier von einem Zehntel des jährlichen Anzeigeneinkommens.