Lourdes. An einem Wochenende im Jahr ist für die tausenden Pilger, Kranke wie Gesunde, die in den französischen Wallfahrtsort Lourdes strömen, nicht ans Ausschlafen zu denken: Dann ist Soldaten-Wallfahrt. Spätestens morgens um sieben marschieren die Ersten durch das Städtchen.
Vorneweg in voller Lautstärke das Musikkorps samt Bläsern und Trommeln, dann die „Kompanie“ im Gleichschritt, dahinter die Veteranen, Verletzte im Rollstuhl, die von ihren Kameraden geschoben werden. Später kommen aus sämtlichen Ecken und Straßen neue Abordnungen aus aller Herren Länder, ziehen vorbei an den unzählig vielen Souvenirläden mit Devotionalien, die an Schrillheit wahrscheinlich nirgendwo in der katholischen Welt übertroffen werden. Lourdes, ein Ausnahme-Ort in einem Ausnahmezustand.
Doch etwas abseits, da, wo die Bundeswehr-Soldaten ihr Zeltlager aufgebaut haben, da kommt eine ganz andere Wallfahrts-Atmosphäre auf. Rund 1100 Bundeswehr-Angehörige sind hergekommen. Etliche von ihnen waren in gefährlichen Auslands-Einsätzen. Auch Florian Becker. Der Hauptgefreite ist „gerne“ Soldat, erzählt er. Und wenn man ihm zuhört scheint es beinah, als gäbe es keine Sorge in seinem jungen Leben. Er war 2010 in Afghanistan, im Norden, in Mazar i Sharif, und er möchte wieder hin. „Es war eigentlich eine wunderschöne Zeit“, erzählt er. Seine Einheit habe afghanische Streitkräfte ausgebildet. Ob er Angst gehabt habe? Ja. Aber es sei anfangs nicht sehr gefährlich gewesen. „Es war Winter. Da war es auch für die Taliban kalt“ – zu kalt, um anzugreifen. „Wir hatten Glück.“ Doch dann, bei der Übergabe von seiner Einheit zur folgenden, da passierte es. Ein Selbstmord-Attentäter tötete einen Fallschirmjäger, Soldaten wurden verletzt. „Ich bin Fernmelder und hatte Funkdienst. Ich habe die Abläufe alle mitgekriegt“, sagt er plötzlich leise und blickt Halt suchend auf eine einzige Stelle auf dem Tisch. „Die Amerikaner haben sofort Helikopter geschickt.“ Er schluckt mehrmals. „Ich hab’ ja mitgekriegt, wie er noch lebte“, sagt er. „Und dann, dann kommt der Schleier.“ Es ist schon acht Monate her, aber es sitzt noch immer so tief. „Da fängt man langsam an, zu überlegen. Das hätte auch ich sein können.“
Der Gedanke an den Tod gehört für den 24-Jährigen zum Soldaten-Leben. Nicht aus dem Einsatz zurückkommen, er hat darüber nachgedacht. „Ich hab meine Familie aufgeklärt.“ Und die Freundin. „Für sie war es ganz schlimm. Aber sie weiß, dass ich Soldat bin.“ Der Zuhörer kann nur erahnen, warum er, der dazu noch evangelisch ist, ausgerechnet nach Lourdes gekommen ist.
Hier oben im Feldlager sind die Soldaten, die sonst harte Kerle sein müssen, nachdenklich. Zu ihnen ist der neue katholische Militärbischof, Franz-Josef Overbeck, gekommen. Seit einem Jahr, seit dem Rücktritt von Bischof Walter Mixa, war das Amt nicht besetzt. Nach dem Gottesdienst kommt der Essener Ruhrbischof zum Gemeinschaftsplatz, um mit ihnen zu reden, um sich vorzustellen. Er macht das ziemlich locker. Schon zuvor hat er erklärt, wie er sein Amt versteht. Er sei nicht „der“ Militärbischof, „ich bin der katholische Militärbischof der Deutschen Bundeswehr“, sagt er der WAZ. Amtsbrüder aus dem Ausland sehen sich bisweilen anders. In Lourdes tragen Militärgeistliche anderer Länder auch militärische Abzeichen auf der Soutane. „Ich bin Zivilist“, hält Overbeck dagegen. „Das Einzige, das ich tragen muss, ist eine Schutzweste.“
Daumen nach oben
Bei den Militärs im Zeltlager punktet er sichtlich mit seiner offenen Art. Nach den unzähligen Gesprächen, die er führt, zeigen viele seiner Gesprächspartner später nur mit beiden Daumen nach oben. Einstieg gelungen, soll das wohl in ihrer Sprache bedeuten. Am Ende, als er längst zum französischen Militärbischof aufbrechen sollte, lassen sie ihn noch lange nicht weg. Er muss reihenweise Widmungen in ihre Pilger-Büchlein schreiben.
Und oben im Feldlager, abseits des Kitsches, schält sich heraus, warum so viele Soldaten an einen Ort kommen, an dem vor 150 Jahren einem Mädchen die Gottesmutter erschienen sein soll. Es ist ein Ort, an dem sie sich offenbar mit ihren Sorgen, Gewissensnöten und Todesängsten nicht alleingelassen fühlen.