Essen. .
Es ist ein turbulenter Tag für Kelvin. Seit 8.30 Uhr sitzt der 13-Jährige auf den niedrigen Holzstühlchen im Kinderhaus Krokofant. Es ist laut im Raum, in dem 17 Kinder im Alter von sechs Monaten bis sechs Jahren miteinander spielen. Ein paar Jungen und Mädchen bemalen Ostereier mit Fingerfarben, andere sitzen auf dem Bauteppich, wieder andere kochen imaginäre Suppen auf dem Puppenherd. Emily kommt und hält Kelvin eine Holzbanane hin: „Da, eine Nane.“ Kelvin lacht und nimmt die gelbe Frucht entgegen. „Es ist schön hier“, sagt der Realschüler, der sich die Essener Kindertagesstätte für den bundesweit ersten Boys’ Day ausgesucht hat. „Ich werd’ hier alle zehn Sekunden umarmt. Das ist, als wenn man Teil einer Familie wär’.“
Der Boys’ Day, auch Jungen-Zukunftstag genannt, soll bei männlichen Jugendlichen das Interesse an frauentypischen Berufen im Erziehungs-, Sozial- und Gesundheitsbereich wecken. 33 580 Schnupper-Plätze, unter anderem in Kitas, Altenheimen und Krankenhäusern, standen den Jungen gestern offen. „Ich finde es toll, einen Kindergarten mal nicht als Kind, sondern aus der Sicht des Erziehers zu erleben“, sagt Kelvin.
Eine Burg aus Bauklötzen
Sein Freund Muhammed spielt währenddessen mit den Kindern im Nachbarraum. „Ich habe mit ihnen eine große Burg aus Bauklötzen gebaut“, erzählt der 14-Jährige. „Und gesungen.“ Zwei Mädchen gucken ihn mit großen Augen an und nicken: „Ja, gesungen!“ Leicht fällt Muhammed es nicht, sich auf die Rollenspiele à la „Ich wär’ jetzt der Koch und das wär’ das Essen und du würdest das dann aufessen“ einzulassen. „Ich weiß nicht so richtig, wie ich das anstellen soll“, gibt er etwas unschlüssig zu. Und dass er wohl lieber Polizist als Erzieher werden würde. „Als Erzieher braucht man viel Geduld mit Kindern. Ich glaube, dass Männer die nicht so haben.“
Dem widerspricht Erzieherin Angie Farbach. „Wir haben einen ausgebildeten Erzieher bei uns im Kinderhaus“, sagt sie. Sie schätzt den anderen (männlichen) Blick, den ihr Kollege Sebastian Lindemeier auf die Kinder hat. „Außerdem macht er bei Sportangeboten Sachen, bei denen wir Frauen eher denken, das sei zu gefährlich. Er wagt mehr. Und die Kinder können bei ihm gröber sein, wenn sie mit ihm raufen.“
Dass Männer in Kitas und Grundschulen Vorbilder sein können, vor allem für die vielen Jungen, die bei alleinerziehenden Müttern aufwachsen, werden Experten nicht müde zu betonen. Trotzdem urteilen viele junge Männer den Erzieher-Beruf als „Weiberkram“ ab. „Sicher auch wegen der pflegerischen Komponente“, sagt Erzieherin Ulrike Franz. „Kindern die Nase zu putzen oder die Windeln zu wechseln, ist für viele eben eine klassische Frauensache.“
Ein paar Kilometer weiter, im Essener Seniorenstift St. Andreas, können Jungen an diesem Boys’ Day in einen ganz anderen Beruf hineinschnuppern: Altenpfleger/-in. Zehn Jungs sitzen hier im Kreis, neben einem Dutzend Senioren, die sich auf eine spannende Sitzkegelrunde freuen. In der Mitte stehen neun rote, gelbe und grüne Plastikkegel, und schon rollen die Kugeln. „Gut Holz“, ruft Sozialarbeiterin Beate Rankl. Eduard Naboreit (93) räumt alle Neune ab. Ganz in ihrem Element ist auch „Kegelpräsidentin“ Josefine Weise. 98 ist sie, wirft die Kugeln aber teilweise besser als die Jungen. „Es ist nett, dass die jungen Leute mit uns kegeln“, sagt sie.
Jemandem helfen können
Auch Philipp (14) macht der Vormittag Spaß. Der Gesamtschüler ist mit seinem Freund extra mit dem Zug aus Wuppertal angereist. „Ich finde es schön, mit alten Leuten etwas zu unternehmen“, sagt er. „Sie sind dann glücklicher. Ich mag es auch, wenn sie von früher erzählen. Das ist interessant.“ Tom (14) kann sich ebenfalls vorstellen, Altenpfleger zu werden, „wegen des Gefühls, jemandem helfen zu können, der meine Hilfe benötigt“. Dass man in Pflegeberufen nicht unbedingt viel Geld verdient, sieht der Realschüler allerdings kritisch.
Im Essener Seniorenstift St. Andreas liege der Männeranteil beim Personal bei zehn Prozent, so Beate Rankl. Auch sie wünscht sich, dass es künftig mehr werden. „Unsere Damen wissen es sehr zu schätzen, wenn sich ein junger Mann um sie kümmert.“