Rostock/Krefeld.

Sandsturm. Sichtweite unter zehn Meter. Massenkarambolage auf der A 19 zwischen Berlin und Rostock. Freitag 12.50 Uhr. Fünf Männer und drei Frauen zwischen 34 und 75 Jahren sterben. Eine Katastrophe. Experten halten einen derart verheerenden Sturm in Nordrhein-Westfalen für unmöglich.

Zu schnell? Zu unvorsichtig? Zu leichtsinnig?

Die Schuldfrage nach dem Horror-Unfall ist ungeklärt. 75 Autos und 7 Lastwagen rasen in beiden Fahrtrichtungen ineinander. 30 Autos gehen in Flammen auf, ein Gefahrguttransporter explodiert.

Eine Bilanz des Schreckens: 8 Tote, 131 Verletzte, 16 von ihnen sind noch im Krankenhaus. Die Rostocker Staatsanwaltschaft ermittelt. „Es besteht der Verdacht der fahrlässigen Tötung und Körperverletzung“, sagt Sprecherin Maureen Wiechmann.

Nach ersten Ergebnissen der Ermittler sind die Autofahrer aus heiterem Himmel in eine Wand aus Sand gefahren. Für Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) lässt sich eine Katastrophe dieses Ausmaßes nicht verhindern: „Selbst höchsten Anstrengungen bei der Verkehrssicherheit werden durch solche extremen Naturgewalten Grenzen gesetzt.“

Wie sieht es in NRW aus? Bleibt die Ackerkrume bei Wind am Boden? Müssen Autofahrer auch hierzulande künftig mit gefährlichen Sandstürmen rechnen?

Drei Fragen, auf die Dirk Elhaus, Bodenkundler beim Geologischen Dienst Nordrhein-Westfalens in Krefeld, nur eine Antwort hat: „Nein. Die Gefahr durch Sandstürme in NRW ist äußerst gering.“

Der 53-Jährige, er stammt aus Hagen-Hohenlimburg, weiß warum. Für ganz NRW hat er die Gefährdung der Flächen durch Winderosion berechnet und ausgewertet: „2,9 Prozent der Ackerfläche sind in einer sechsstufigen Skala der Gefährdung am höchsten eingestuft.“

Die Gefahr, dass stürmischer Wind die Ackerkrume wie Wüstensand wegfegt, ist nach seinen Erkenntnissen im westlichen Münsterland in der Nähe der Städte Ahaus, Vreden, Bocholt und in Ostwestfalen bei Espelkamp, Rahden und Stemwede potenziell am ehesten vorhanden. „In der Regel handelt es es um feinsandige, vegetationsfreie und trockene Böden im Flachland, die dem starken Wind wenig entgegen zu setzen haben“, sagt Elhaus. „Schwerere Böden wie in der Soester Börde sind vom Wind nicht übermäßig betroffen. Sie leiden unter Wassererosion.“

Das bestätigt Petra Drees-Hagen vom Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverband (WLV). Sie spricht für den Hellweg und das Ruhrgebiet: „Nach dem Umpflügen und bei anhaltender Trockenheit pappt hier der schwere Lehmboden zusammen und trocknet aus.“ WLV-Umweltreferent Matthias Quas pflichtet ihr bei: „Winderosion ist kein Thema. Im Vergleich zu Mecklenburg-Vorpommern gibt es auch mehr Landschaftselemente. Bäume, Sträucher und Hecken, die den Wind bremsen. Die Felder sind kleiner, und es regnet mehr.“

Bis heute gibt es in Mecklenburg-Vorpommern größere Anbauflächen, Folge landwirtschaftlicher Produktionsgenossenschaften zu DDR-Zeiten. Hier sieht der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) die Landwirte gefordert: „Durch die Vernachlässigung der Bodenstruktur haben die Böden weniger Humusgehalt“, sagt Burkhard Roloff, BUND-Agrarreferent. Mecklenburg-Vorpommerns Bauernpräsident Rainer Tietböhl widerspricht: „Das sagen Leute, die keine Ahnung von der Landwirtschaft haben.“