Essen. . Vor 100 Jahren gingen die ersten Frauen auf die Straße, um für das Wahlrecht zu kämpfen. 1919 war es soweit, da durften Frauen in Deutschland endlich wählen. Heute ist der Frauentag in 26 Ländern der Erde ein gesetzlicher Feiertag.

Der 8. März 1911, ein Mittwoch, ein ganz normaler Arbeitstag. Frauen in Deutschland schuften in Spinnereien, im Steinbruch, in der Gießerei. Eine Näherin verdient eine Mark am Tag; braucht fürs Wohnen und Essen aber mindestens 26 Mark im Monat. Frauen im Zeitalter der industriellen Revolution dürfen fast überall mit anpacken, zum Hungerlohn. Nur eins dürfen sie nicht: wählen.

Das muss sich ändern, fordern Sozialistinnen wie Clara Zetkin, Käthe Duncker und viele Mistreiterinnen seit über 20 Jahren. Frauen müssen endlich als gleichberechtigte Menschen in mitreden und mitbestimmen. können. Während viele Genossen in der SPD solche Ideen noch als „Frauenrechtlerei“ oder „Extrawürste“ abwimmeln, macht Clara Zetkin Nägel mit Köpfen: Im August 1910 folgt die Zweite Internationale Sozialistische Frauenkonferenz in Kopenhagen ihrem Antrag, dass es künftig in 17 Ländern jedes Jahr einen weltweiten Frauentag geben soll.

Kostenloses Schulessen

Genossinnen in den USA hatten bewiesen: Das bringt’s. 1909 streikten Tabak- und Textilarbeiterinnen in New York für bessere Löhne und menschliche Arbeitsbedingungen, 20 000 Hemdennäherinnen hielten acht Wochen durch. Auch bürgerliche Streiterinnen für Frauenrechte unterstützen die Protestaktionen.

Am Sonntag, 19. März 1911, findet der erste Internationale Frauentag statt. Frauen in Dänemark, Deutschland, Österreich, der Schweiz und den USA rufen auf zu Diskussionen und Demonstrationen im Saal und auf den Straßen. 1912 kommen Frauen in Frankreich, Holland, Schweden dazu, ab 1913 die in Russland und der Tschechoslowakei. Zentrale Forderung der Aktivistinnen ist das volle Stimmrecht, aktiv und passiv, außerdem der Acht-Stunden-Tag und Schutz für werdende und stillende Mütter.

1919 dürfen Frauen in Deutschland endlich wählen, 37 der 423 Abgeordneten der Weimarer Nationalversammlung sind weiblich. Den Frauentagen – ab 1921 immer am 8. März – gehen die Themen trotzdem nicht aus: Sie fordern fortan das Recht auf straffreien Schwangerschaftsabbruch, bezahlbare Lebensmittel oder kostenloses Schulessen für die Kinder, protestieren gegen Massenarbeitslosigkeit, Krieg oder Faschismus.

Der „Muttertag“ folgte

1933 verbieten die Nazis den Internationalen Frauentag, führen dafür den Muttertag ein. 1946 gibt es den ersten Frauentag in der sowjetischen Besatzungszone; bis zum Fall Mauer 1989 bleibt der 8. März dort ein Feiertag mit Festreden, Nelken und Geschenken für die „Muttis“. Noch heute bekommt die Kassiererin im Supermarkt zum „Frauentag“ Blumen vom Chef.

In Westdeutschland organisierte die SPD 1948 den ersten Frauentag in Freiheit. Doch im Kalten Krieg und den Wirtschaftswunderjahren ging das Interesse daran bald verloren. Erst ab 1968 wurde weltweite Frauensolidarität wieder ein Thema; allerdings verwahrten sich autonome und linke Frauen im Westen vehement dagegen, mit den bombastischen, im Alltag aber wirkungslosen Ritualen im Ostblock in Verbindung gebracht zu werden.

1975, im internationalen Jahr der Frau, adelten die Vereinten Nationen den 8. März mit einem Festakt in New York. 1977 beschloss die UN-Generalversammlung: Der 8. März gilt künftig weltweit als Frauentag.

Heute ist der internationale Frauentag in 26 Ländern der Erde – von Angola über Georgien, Madagaskar, Nepal, Vietnam oder Zypern – ein gesetzlicher Feiertag.

Jeden Tag Frauentag

Alice Schwarzer, die Ikone der deutschen Frauenbewegung, ist dagegen: „Schaffen wir ihn endlich ab, diesen gönnerhaften 8. März“, fordert sie seit Jahren. „Machen wir aus dem einen Frauentag im Jahr 365 Tage für Menschen, Frauen wie Männer.“