Berlin. . Einsam inmitten von Menschen: Die Berliner Jugendrichterin Kirsten Heisig war eine Frau, die die Öffentlichkeit geradezu suchte. Dennoch nahm sie sich das Leben. Eine ARD-Reportage fragt, warum.

Sie war bundesweit bekannt, aber ihre dunkle Seite blieb verborgen: Kirsten Heisig, Berlins streitbare Jugendrichterin, beging am 3. Juli 2010 in einem Waldstück Selbstmord, Schlusspunkt schwerer Überforderung, das Ende einer Tragödie. Zwei WDR-Autorinnen blicken jetzt hinter das öffentliche Bild der aufrechten Superrichterin.

Die Tod kommt aus heiterem Himmel, so scheint es. Mitten hinein in die große Hitzewelle des letzten Sommers. Mesut Özil hat Deutschland gerade ins WM-Achtelfinale geschossen, Thilo Sarrazins Buch ist noch nicht erschienen – da schreckt eine Vermisstenmeldung die Hauptstadt auf: Heisig, die kämpferische Ju-gendrichterin, ist verschwunden. Sie lebt seit kurzem ge-trennt von ihrem Mann, kümmert sich aber weiter um die gemeinsamen Töchter. Gerade hat sie ihr mit Spannung er-wartetes Buch („Das Ende der Geduld“) abgeschlossen, es soll im September erscheinen.

Nach drei Tagen Suche wird die Leiche der Richterin im Tegeler Forst entdeckt. Die 48-jährige hat eine Überdosis Antidepressiva geschluckt und sich dann erhängt. Ihr Buch über den Umgang mit kriminellen Jugendlichen wird zum Bestseller, es gilt als Vermächtnis der Frau, die mit dem „Neuköllner Modell“ Justizgeschichte geschrieben hat: Kriminelle Jugendliche sollen in einem beschleunigten Verfahren schneller vor Gericht kommen, damit die erzieherische Wirkung nicht verpufft.

Der 45-minütige Film von Güner Balci und Nicola Graef verhält sich im besten Sinne anständig. Er badet nicht in intimen Details . Viele Quellen sind nach wie vor verschlossen: Heisigs Eltern wollten nicht zitiert, ihr Mann und die beiden halbwüchsigen Töchter nicht vor die Kamera gezerrt werden – das wird respektiert.

Auch aus dem Umfeld gibt es offenbar bis heute niemanden, der wirklich weiß, was die Richterin ausgerechnet an jenem Sommertag in den Tod trieb. Es ist bezeichnend für Heisigs mit aller Kraft verteidigte Fassade, aber genau das wird im Film zum Problem: Wer sagt, dass der Selbstmord seinen Auslöser in ihrer psychischen Gesundheit und ihrer privaten Überforderung hatte, dann aber bei der Beweisführung vage bleiben muss, fordert Einfühlungsvermögen vom Zuschauer.

Ohne Aus-Schalter

Vieles, so glauben die Autorinnen, spricht für Depression, gerade das scheinbar Paradoxe: Heisigs extremes Arbeitspensum, die enorme Termintaktung, die immense öffentliche Präsenz. „Sie war ein Mensch ohne Aus-Schalter“, sagt ihr Mitstreiter, Neuköllns Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky, bei dem sie über die Widerstände unter ihren Kollegen klagt. „Mit Sicherheit war sie oft einsam.“

Bereits zwei Jahre zuvor gibt es einen Selbstmordversuch. Doch Autorin Graef bleibt vorsichtig: „Wir kennen die Diagnose nicht.“ Klar ist nur: Die Verschwörungstheorien, nach denen Heisigs Tod Rache war, seien Unfug. Das Obduktionsergebnis ist eindeutig.

Die Reportage läuft am Mittwoch, 22.45 Uhr, im Ersten.