Köln. . Christoph Kuckelkorn ist Leiter des Kölner Rosenmontagszuges – und einer der größten Bestatter der Stadt. Tagsüber Tod und Tränen, abends Büttenreden und Blaskapellen. Funktioniert das?
Draußen auf der Zeughausstraße in Köln ziehen sie zur nächsten Sitzung. Als Hexe und Henker, Ritter und Römer, Cowboy und Clown. „Alaaf“ rufen sie, singen und lachen. Drinnen, hinter der gestrahlten Scheibe, da stehen sie und trauern. „Amen“ sagen sie und weinen. Leben und Tod, ganz dicht zusammen. Keiner in Köln kennt das besser, als Christoph Kuckelkorn. Der bekannteste Bestatter der Stadt ist er aber gleichzeitig auch Leiter des Kölner Rosenmontagszuges. Ein Leben zwischen Trauerreden und Tanzmariechen.
Der Terminkalender ist voll. Wie immer. Am Morgen war er mit einem Kunden auf dem Melatenfriedhof. In zwei Stunden ist eine Trauerfeier im Haus. Dann noch mal Friedhof. Am Nachmittag Schunkeln mit dem Dreigestirn. Und abends noch kurz auf einen Geburtstag, vielleicht sogar noch einmal in die Firma. Wenn was passiert. „Dieser Job ist ja unplanbar. Immer auf dem Sprung, doch Kuckelkorn wirkt nicht gehetzt, als er im angenehm schlichten Besprechungsraum seiner Firma Platz nimmt. Alles Routine. Es gibt Tage, an denen er sich fünf-, sechs Mal umziehen muss.
Bestatter in fünfter Generation
Fest ist der Händedruck, leise die Stimme, der Anzug so dezent wie das Ambiente im Bestattungshaus. Nur das Handy in der in der neongrünen Schutzhülle und kleine Aktenkoffer aus Alu, zu dem er später greifen wird, fallen auf. „Kommen sie“, sagt Kuckelkorn. „Ich zeige ihnen das Haus.“
Zwischen Urnen und Särgen kommt Kuckelkorn ins plaudern. Seit 1984 ist er Bestatter. In fünfter Generation. Seit 2005 auch Zugchef. In erster Generation. Er hat sich nicht um diesen Posten beworben, er ist darum gebeten worden. Er hat auch lange überlegt. 33 Persiflagewagen, über 10000 Teilnehmer. „Das macht man nicht so nebenbei.“ Aber auch ein Bestattungsunternehmen mit 13 Angestellten alleine. Schließlich hat er zugesagt. „Das ist das schönste Ehrenamt, das die Stadt vergeben kann“, sagt er. Kuckelkorn wolle den Karneval als Plattform für sein Unternehmen nutzen, sagen andere. Der Bestatter zuckt die Schultern. „Vielleicht kommen ein paar Kunden, weil sie mich aus dem Karneval kennen. Bestimmt aber verliere ich welche.“ Weil nicht jeder seinen Vater von dem Mann beerdigen lassen will, mit dem er letzte Woche noch gefeiert hat. „Manchmal bin ich zu nahe dran.“
Zwischen Tod, Trauer und Büttenreden
Tagsüber Tod und Tränen, abends Büttenreden und Blaskapellen. Funktioniert das? Kuckelkorn lächelt und spricht von zwei Welten, die mehr gemeinsam haben, als es zunächst den Anschein hat. Haben sie tatsächlich. Schon weil der Karneval ein Fest aus dem christlichen Jahreskreis ist und den Aschermittwoch als Schlusspunkt akzeptiert. Wie einen jährlich wiederkehrenden Tod. Und eine ganze Fülle von Karnevalsliedern gibt es, in denen vom letzten Stündlein und vom Jenseits die Rede ist.
Aber das ist es nicht, was Kuckelkorn meint. „Beides ist hoch emotional“, sagt er, „eine Inszenierung.“ Und beides ist live. „Ein Maler oder Schreiner kann nachbessern.“ Im Zug oder bei einer Beerdigung geht das nicht. „Da kriegst du keine zweite Chance.“ Weshalb Kuckelkorn bei großen Trauerfeiern immer einen zweiten Leichenwagen in der Nebenstraße warten lässt. „Falls der erste nicht anspringt.“ Im Zug macht er das ähnlich. „Da sind immer ein paar Reservetrecker dabei.“ Auf alles vorbereitet sein, nichts dem Zufall überlassen – so organisiert Kuckelkorn seine Beerdigungen. So leitet er aber auch den Zug über die Straßen der Domstadt. Kollidieren die beiden Welten, „geht der Beruf immer vor“, sagt er.
Nur Rosenmontag nicht. Da fährt Kuckelkorn vorweg, wenn die bis dahin geheimen Festwagen in einem langen Konvoi ihre Hallen verlassen um zum Startpunkt zu rollen, fährt früh am Morgen durch eine Stadt, die die noch einmal Luft holt vor dem großen Finale der tollen Tage. Ein magischer Moment ist das für Kuckelkorn, ein Moment voller Emotionen. Dann ist er Zugchef, kein Bestatter. Man kann aber auch keinen beerdigen an diesem Tag. Echte Kölner versuchen nicht einmal zu sterben, wenn der Zoch kütt. „Da kommt ja kein Leichenwagen rein in die Stadt.“
„Warme Sachen anziehen. Und vorher zur Toilette gehen.“
Nachmittag ist es geworden und in den bunt geschmückten Räumen des Festkomittees des Kölner Karnevals stehen Kaffee und Kuchen auf den Tischen. Zwei Dutzend Kinder sitzen da. Sie sollen am Rosenmontag die Wagen des Kölner Dreigestirns begleiten. Vorne steht Kuckelkorn und mahnt. „Warme Sachen anziehen. Und vorher zur Toilette gehen.“ Dann kommen Bauer, Prinz und Jungfrau zu Besuch. „Kölle Alaaf“. So geht das über Wochen. Jeden Tag. „Ich kann immer wieder meine Rolle wechseln“. Übergangslos und „ohne Probleme“. Aber abends, wenn er nach Hause kommt, dann holt der Tag Kuckelkorn manchmal ein. „Dann muss ich alles verarbeiten.“
Die tägliche Begegnung mit dem Tod, sie hat Kuckelkorn verändert. „Man merkt, wie endlich das Leben ist.“ Und wie plötzlich es ändern kann, das hat er vor elf Jahren erfahren. Da ist seine erste Frau mit dem Motorrad tödlich verunglückt und lag nun vor ihm auf dem Tisch. „Keine Sekunde“ habe er gezögert, sie selbst für die Beerdigung vorzubereiten. „Das war nie eine Frage.“
Carpe Diem. Nutze den Tag
Nach solchen Erlebnissen lebt man intensiver, genießt den Augenblick. Carpe Diem. Nutze den Tag. „Bei mir gibt es kein Aufschieben.“ Wenn die gute Flasche Wein vorne im Regal steht, wird sie getrunken. „Worauf soll ich warten?“
Das Dreigestirn geht, Kuckelkorn auch. Kurz nach Hause, zur zweiten Frau und den Kindern. „Die verstehen, dass ich im Augenblick wenig Zeit habe.“ Wird sich so schnell auch nicht ändern. Rosenmontag wird Kuckelkorn „kurz durchatmen“, wenn der Zug im Ziel ist. Mehr nicht. Im Gegenteil. „Dann fange ich mit den Planungen für 2012 an.“ Und gestorben, weiß der Volksmund, „gestorben wird immer“.