Peking. .
Auf Pekings Straßen gleicht das Weiterkommen einem Kampf. Die Regierung sucht nach Wegen aus dem Stau.
Chinesen müssen um ihren Platz im Leben kämpfen, deshalb fällt es ihnen nicht schwer, jeden Tag auch um ihren Platz auf der Straße zu kämpfen. Allein in Peking sind fünf Millionen Autos zugelassen, es wird eng, und jeder Autofahrer der Hauptstadt ist Ben Hur. Wenn sich allerdings fünf Millionen Ben Hurs im Berufsverkehr auf einem der drei Straßenringe rund um die Innenstadt treffen, verwandelt sich Autofahren in Car Wars.
Brüllen hilft nichts
Mitten im Gewühl die Taxifahrer, sie sind Männer mit der Nervenstärke eines Minenräumkommandos. Ein Beispiel: Das Taxi hat es endlich aus der Innenstadt heraus geschafft, halbwegs freie Autobahn. Im seltenen Gefühl des Geschwindigkeitsrausches braust der Fahrer jedoch an der Ausfahrt zum Hotel vorbei. Er sagt etwas, das wie ein Satz von Bruce Lee klingt, auch die Tonlage stimmt, dann tritt er auf die Bremse und legt krachend den Rückwärtsgang ein. Die Taxifahrer in Peking sprechen nur Chinesisch – Mandarin oder Kantonesisch, wer weiß das schon –, jedenfalls lässt sich der Mann nicht von den 300 Metern rückwärts auf der Autobahn abbringen. Brüllen hilft nichts. Als sich die Taxitür dann später doch noch vor dem Hotel öffnet, ist man heiser von China.
2000 neue Autos lässt die Stadtverwaltung von Peking zur Zeit noch täglich zu, die Regierung will die Zahl auf 20 000 pro Monat eindämmen. Der Verkehrskollaps ist längst da, es geht nicht mehr. Während der Olympischen Spiele 2008 gab es eine Sonderregelung: An einem Tag durften die Wagen mit gerader Endziffer auf dem Nummernschild fahren, am nächsten die mit ungerader Endziffer. Der kluge Chinese hatte zwei Nummernschilder zum Wechseln in der Garage liegen.
Exotisch auch die Führerschein-Prüfung. Fahrschüler müssen die Theorie bestehen, dann bittet der Fahrlehrer zur praktischen Prüfung. Die praktische Prüfung besteht aus einer Runde über den Hof. Normale Fahrstunden gibt es nicht, wer es über den Hof schafft, ohne die Mauer zu treffen, der hat bestanden.
Jeder besteht.
Daher sollten Fußgänger auch an Ampeln höllisch aufpassen. Selbst bei Grün muss der Weg über die Straße nicht grundsätzlich sicher sein. Sowieso warten Fußgänger an den Ampeln der Hauptstadt ewig, und selbst das birgt Gefahren.
Am Platz des Himmlischen Friedens sagt der Chinese neben dem deutschen Besucher etwas, das wie „Wichser“ klingt. Was? Da, noch mal, ziemlich deutlich: „Wichser!“ Ben Hur sogar an der Fußgänger-Ampel? Prügelei gefällig? Der Blick hinüber zeigt, was der Chinese wirklich meint: Rikscha! Nette Idee, aber in dem Verkehr, in dem die Autos unberechenbar von vorne, hinten, rechts oder links kommen, viel zu gewagt.
Der jüngste Liebling der Bewohner Pekings: Das Elektro-Fahrrad. Es ist schnell und schlängelt sich durch jede Lücke. Das Problem: Man hört es nicht, die Unfallzahlen auf den Rad- und Fußwegen steigen.
Zwischen Rad und Tat lebt Mister Bi. Mister Bi hat früher in einer Fabrik gearbeitet, von seinem ersparten Geld hat er sich im Rentenalter eine japanische Limousine gekauft und als Ein-Mann-Betrieb einen Mietwagen-Service eröffnet. Mister Bi ist ein freundlicher Mann, aber sein Englisch bleibt auch nach Jahren übersichtlich. „Very dangerous“, sagt er über den Verkehr. „Sehr gefährlich, und passen Sie bitte immer schön auf!“
Während er das rät, steht sein Wagen mal wieder seit zehn Minuten auf der Stelle im Stau – beweglich wie eine Parkuhr.
Graue Smog-Wolke
Vor der Windschutzscheibe wabert die graue Smog-Wolke, die jeden Tag über den Straßen liegt. Umweltschutz ist aber bei den Autofahrern von Peking nicht das zentrale Thema. Den Smog verursachen für sie die Fabriken, die sich rund um die Stadt ziehen.
Ben Hur hat eben andere Sorgen.