Paris. Die Ladung des gesunkenen DDR-Schiffs „Böhlen“ vor der französischen Küste alarmiert Experten. Jetzt reagieren die Behörden.
Fast 50 Jahre nach dem Unglück, das ihn sinken ließ, meldet sich der DDR-Tanker „Böhlen“ wie ein Geisterschiff zurück: Die bretonische Lokalzeitung „Télégramme“ berichtete zum Jahreswechsel, an der Pointe du Raz (Kap der Strömung) seien Erdölspuren aufgetaucht, die zweifellos von dem Schiffsunglück stammten.
Der ostdeutsche Tanker war auf seiner letzten Fahrt mit 9800 Tonnen Rohöl aus Venezuela an Bord unterwegs. In der Nacht auf den 14. Oktober 1976 wollte er die Nordwestspitze Frankreichs umrunden, um via Ärmelkanal Kurs auf Rostock zu nehmen. Doch gegen vier Uhr morgens geschah es: Der Tanker lief auf das in Seefahrerkreisen berühmt-berüchtigte Klippenfeld westlich der Insel Sein auf.
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Über das Ausmaß der ökologischen Schäden herrscht Uneinigkeit. Die französische Marine hatte 1976 und 1977 den Großteil der Böhlen-Ladung ausgepumpt, konnte aber nicht verhindern, dass 2000 Tonnen in den Atlantik austraten. Außerdem dürften 400 Tonnen Öl in dem Wrack in hundert Meter Tiefe geblieben sein. Doch ein Teil der Ladung ist nun wieder zum Vorschein gekommen – sehr zum Leidwesen der Einheimischen.
DDR-Wrack vor Frankreich: Öl entdeckt
Das Öl wurde unlängst in der Nähe eines Bunkers entdeckt, der zum aus dem Zweiten Weltkrieges stammenden Atlantikwalls gehört. Französische Armee-Einheiten hatten dort nach dem Untergang der „Böhlen“ 120 Tonnen Ölschlick deponiert. Ein älterer Bretone namens Claude Marzan erinnerte sich gegenüber französischen Medien daran, wie Mannschaften die Strände 1976 monatelang gereinigt hätten. Sie hätten die Abfälle gesammelt und mit Schaufeln in Säcke abgefüllt. Mangels Alternativen hätten sie die Säcke schließlich in und neben dem Bunker abgelagert und mit Erde zugedeckt.
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Heute dringt das illegal deponierte Öl wieder an die Oberfläche – und das mitten in einem spektakulären Naturschutzgebiet, das jährlich zahllose Bretonen und Touristen anzieht. Marzan erzählte nach einem Besuch, man wate in zentimeterdickem, übelriechendem Öl, das durch die Abdeckschichten regelrecht „hindurchschwitze“.
Die Zeitung „Télégramme“ spricht von einer „ökologischen Bombe“. Der Umweltexperte Nicolas Tamic relativierte, das Öl habe seine giftigsten Komponenten in einem halben Jahrhundert verloren. Der Bürgermeister der zuständigen Gemeinde Plogoff, Joël Yvenou, erließ aber zu Neujahr ein Verbot, den viel besuchten, von wildem Heidekraut bewachsenen Küstenabschnitt zu betreten. Das Departement Finistère, zu dem die drei berühmten Landspitzen um die Pointe du Raz gehören, soll den Ort nach einer neuen Expertise in diesem Jahr entseuchen.
Schiffsunglück: Verweigerte Kapitän Hilfe aus politischen Gründen?
Doch wie war es überhaupt zu dem Unglück gekommen? Die Seekammer der DDR ging von einem Navigationsfehler aus. Wahrscheinlicher scheint allerdings, dass der Kapitän und andere Offiziere ihr Schiff infolge einer Trinkrunde gar nicht mehr steuerten und damit in Kauf nahmen, dass es auf Land lief.
Wohl aus politischen Gründen – damals herrschte der Kalte Krieg – steuerte der Kapitän die „Böhlen“ danach jedoch nicht in einen nahen Hafen der Bucht von Douarnenez. Er nahm stattdessen Kurs aufs offene Meer, wohl um internationale Gewässer zu erreichen. Die Besatzung erfuhr von diesem verheerenden Manöver nichts und wurde nicht einmal über das Leck informiert.
Erst elf Stunden später, als das Vorschiff bereits unter der Wasserlinie lag, funkte das Schiff SOS. Der westdeutsche Hochseeschlepper „Pacific“ eilte zu Hilfe, konnte aber wegen der unüblichen Entscheidung des „Böhlen“-Kapitäns nicht eingreifen. Der Tanker sank und riss 26 Menschen, darunter alle Offiziere und den Kapitän, in den Tod. Nur elf überlebten, die meisten dank französischer Rettungshilfe. Zurück in der DDR wurden die Überlebenden später mit kürzeren Wartezeiten für ein neues Auto abgefunden.
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Frankreich wurde von Ostberlin nie richtig entschädigt. Wegen des ausgetretenen Öls herrschte auf der Insel 19 Jahre lange ein Fischereiverbot; viele Bootsbesatzungen verloren ihre Arbeit. All das, weil die DDR-Behörden mutmaßlich lieber eine Schiffskatastrophe in Kauf nahmen, als sich vom Westen helfen zu lassen.
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