Berlin. Die Ermittler sind dem Motiv des mutmaßlichen Mörders ein Stück nähergekommen. Dabei überrascht der Blick auf Mangiones Biografie umso mehr.
- Nach dem Tod des Managers Brian Thompson steht Luigi Mangione unter Mordverdacht
- Es scheint unerklärlich, wie der junge Mann aus guter Familie zum Täter hätte werden können
- Ein Blick auf sein bisheriges Leben überrascht
Ein Junge aus einer wohlhabenden Familie wächst mit allen Vorzügen in Baltimore auf, macht seinen Schulabschluss als Jahrgangsbester und seinen Uniabschluss an einer Elite-Universität, bereist die Welt – und soll schließlich in seine Heimat USA zurückkehren, um einen Mann auf offener Straße zu erschießen? So die Kurzbiografie von Luigi Mangione, dessen Konterfei dieser Tage um die Welt geht.
Der 26-jährige Amerikaner wurde am Montag, 9. Dezember, in einem McDonald‘s in Altoona, Pennsylvania, verhaftet. Der Vorwurf: Mord, Schusswaffenbesitz und Besitz gefälschter Papiere. Das Opfer: Brian Thompson, CEO der größten Krankenversicherung der USA, UnitedHealthcare. Verheiratet, Vater von zwei Söhnen.
Luigi Mangione hatte bei Verhaftung Manifest bei sich
Doch was könnte Luigi Mangione dazu gebracht haben, einen ihm wildfremden Mann zu töten? Rache, lautet bislang die Vermutung. Nicht an dem Top-Manager persönlich, sondern an dem System, für das er stand. Neuen Erkenntnissen der New Yorker Polizei zufolge, fand man keinerlei Hinweise darauf, dass Mangione jemals ein Kunde von UnitedHealthcare war. Er könnte den Konzern wegen seiner Größe ausgesucht haben, so Chefermittler Joseph Kenny.
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Ein Manifest, das Mangione bei seiner Verhaftung laut Polizei bei sich getragen haben soll, gibt Hinweise auf einen tief verwurzelten Hass auf das amerikanische Gesundheitssystem und nennt explizit UnitedHealthcare. Auch prangerte er laut „New York Times“ darin vermeintliche „Korruption und Machtspiele“ der Gesundheitsindustrie an. „Die Parasiten haben es verdient“, steht da. „Es musste getan werden.“
Verdächtiger erlitt vor der Tat „lebensverändernde Verletzung“
Für Luigis Umfeld kam die furchtbare Tat, die dem 26-Jährigen vorgeworfen wird, völlig überraschend, wie CNN berichtet. Jahrelang hatte er sein Leben auf Social Media mit zahlreichen Followern geteilt: seine Trainingsroutine, seine Reisen, seine Buchempfehlungen und gesundheitlichen Probleme. Medienberichten zufolge litt Mangione an starken Rückenschmerzen, vermutlich verursacht durch sogenanntes Wirbelgleiten (auch Spondylolisthesis). Dabei verschieben sich Wirbelkörper in der Wirbelsäule, was sie instabil werden lässt.
Auf X – Mangiones Social-Media-Aktivitäten wurden nach seiner Verhaftung teilweise von der Polizei offline genommen – soll er Röntgenaufnahmen seines Rückens veröffentlicht haben. Darauf sind vier große Schrauben zu sehen, die seine Wirbelsäule zusammenhalten. Laut der britischen Boulevardzeitung „The Sun“ sollen sie von einer Rückenoperation stammen, bei der etwas schiefgelaufen sein soll. Das jedenfalls hätten ehemalige Weggefährten Mangiones berichtet. Erste Beobachter sehen darin eine weitere mögliche Erklärung für die plötzliche Wesensänderung des jungen Mannes.
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Diese These bestätigte nun auf die New Yorker Polizei: „Es scheint, dass er [Mangione, Anm. d. Red.] einen Unfall hatte, der ihn im Juli 2023 in die Notaufnahme brachte, und dass es eine lebensverändernde Verletzung war“, so Chefermittler Joseph Kenny. So lebensverändernd, dass sie Mangione „auf diesen Weg gebracht haben“.
Mordverdächtiger stammt aus einflussreicher Familie
Trotz der chronischen Schmerzen schien sein breites Lächeln Mangiones stets Markenzeichen gewesen zu sein. Dann, im Sommer dieses Jahres, der Wandel: Er postete immer weniger, reagierte auch nicht auf besorgte Nachfragen seiner Follower. Schon Monate vor seiner Tat in New York soll sich der junge Mann, der zuletzt auf Hawaii lebte, aus seinem privaten Umfeld zurückgezogen haben. „Ich kann mir keinen Reim darauf machen“, so ein ehemaliger Mitbewohner des Mordverdächtigen gegenüber CNN. „Es ist unvorstellbar.“
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Denn Mangione hatte alle Voraussetzungen für einen erfolgreichen Start in sein junges Leben. Seine Familie hat ihren Wohlstand Mangiones Großvater zu verdanken. Gegenüber der „Baltimore Sun“ erklärte Nicholas Mangione einst, wie er als italienischer Einwanderer mit 11 Jahren anfing zu arbeiten und sich ein Immobilienimperium aufbaute. Als Ausländer sei er in Country Clubs diskriminiert worden, berichtet die „New York Times“.
Heute gehören der Familie mehrere solcher Clubs sowie Pflegeeinrichtungen und eine Radiostation in der Gegend. Die Mangiones sind längst zu einer Größe in der Lokalpolitik geworden und als Wohltäter bekannt, die sich für Frauenorganisationen und Kultur einsetzen. Einer von Nicholas Mangione 30 Enkeln, Nino Mangione, ist republikanischer Politiker in Maryland. Eine Stiftung der Familie soll über eine Kapitalanlage in Höhe von fast 4,5 Millionen Dollar verfügen.
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Infolge von Luigi Mangiones Verhaftung hatte sein Cousin Nino im Namen der Familie ein Statement auf X veröffentlicht. Alle seien demnach „schockiert und am Boden zerstört“, selbst die Familie wisse nur das, was in den Medien berichtet werde. „Unsere Gebete sind bei der Familie von Brian Thompson und wir bitten die Menschen, für alle Betroffenen zu beten“, heißt es weiter. Ein Anwesen von Mangione Eltern nördlich von Baltimore wurde am Montag und Dienstag von Sicherheitskräften gegen die Medien abgeriegelt.
Jahrgangsbester, Elite-Student: Verdächtiger hatte beste Voraussetzungen
Ihre Kinder, Luigi Mangione und seine beiden Schwestern, hatte das Paar laut Times in einem beschaulichen Haus mit vier Schlafzimmern in Towson, einem Vorort Baltimores, aufgezogen. Ihr Sohn besuchte später die Gilman School, eine von Baltimores teuersten Privatschulen. Mitschüler beschreiben ihn als bescheidenen, zugänglichen Jungen. Den Jahrgangsbesten, wie Luigi Mangione einer war, fällt es in Amerika zu, eine Abschlussrede zu halten. Mangione lobte in seiner die „neuartigen Ideen“ seiner Klassenkameraden und die Art, wie sie „die Welt herausforderten“.
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Sein eigener Weg führte ihn an die University of Pennsylvania, wo er laut Pressestelle Computerwissenschaft und Mathematik studierte. Auch während seiner Zeit an der Uni scheint Mangione keine Probleme gehabt haben, Anschluss zu finden: Er gehörte einer Studentenverbindung an. Kommilitonen erinnern sich gegenüber US-Medien an einen „charmanten“ jungen Mann. „Ich hatte nie den Eindruck, er könnte selbstzerstörende Tendenzen haben“, äußerte sich einer von ihnen gegenüber CNN.
Zuletzt soll Mangione seine Heimat verlassen haben und nach Hawaii gezogen sein, wo er als Software-Entwickler arbeitete und in einem Co-Living-Space lebte. Dort soll er einen Buchclub geleitet und seine Freizeit mit Yoga und Wandern verbracht haben. Manchmal hätten er und seine Mitbewohner auch über den Kapitalismus oder das Gesundheitssystem diskutiert, berichtete der Leiter des Co-Living-Spaces gegenüber CNN. Er erinnere sich an eine Zeit, als Mangiones Rückenbeschwerden infolge eines Surf-Unfalls ihn tagelang ans Bett gefesselt hätten. „Es war aber nicht so, als wäre er überhaupt verärgert oder wütend über ein bestimmtes Problem.“
Mordverdächtiger las kurz vor der Tat das Manifest des „Unabombers“
Wie sehr die Schmerzen ihn beeinträchtigten, zeigen seine Buchempfehlungen auf der Website Goodreads, darunter einige Titel zum Thema chronische Rückenschmerzen und psychische Erkrankungen. Eine Auffälligkeit geht dann aber doch aus seinem Goodreads-Profil hervor: Mangione soll demnach noch in diesem Jahr das Manifest des 70er-Jahre-Terroristen Ted Kaczynski gelesen haben.
Letzterer wurde in den USA als „Unabomber“ bekannt, weil er willkürlich ausgewählten Opfern Bomben mit der Post zukommen ließ. Laut FBI werden ihm drei Morde zur Last gelegt, fast zwei Dutzend Menschen seien durch die Bomben, die Kaczynski selbst anfertigte, verletzt.
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In einer Buchkritik bezeichnete Mangione den Terroristen zwar als „gewalttätigen Menschen“, der „zu Recht inhaftiert“ sei – sah in ihm aber gleichzeitig einen „extremen politischen Revolutionär“. Kaczynskis „Voraussagen über die moderne Gesellschaft“, so suggeriert Mangione, seien durchaus zutreffend gewesen. Politisch soll der 26-Jährige indes keinem festen Lager angehört haben, wie aus dem Wahlregister in Maryland hervorgeht, wo er gemeldet war. Mangione ist derzeit noch in Pennsylvania inhaftiert und kämpft gegen eine Überstellung nach New York. (mit afp)