Essen. In den Überresten eines prähistorischen Dorfs finden Forscher 15 menschliche Schädel. Waren es Menschenopfer oder Feinde der Bewohner?
In einem Dorf aus der Jungsteinzeit haben Archäologen eine grausige Entdeckung gemacht. Sie fanden 15 menschliche Schädel, die zu einem Haufen geschichtet waren. Die Schädelknochen sind stark beschädigt und in mehrere Teile zerbrochen. Wurden hier Feinde oder Menschenopfer zu einer aus heutiger Sicht makabren Konstruktion modelliert?
Was den Fund besonders macht, ist seine Lage in dem prähistorischen Dorf. So war der Schädelhaufen nicht in einem Gräberfeld aufgeschichtet, sondern in einem Haus, in dessen Überresten ihn die Forscher fanden. Die Ausgrabungsstätte Masseria Candelaro liegt in Italien in der Region Apulien.
Eine Radiokarbondatierung der 400 Knochenfragmente grenzte die Herkunftszeit auf einen Abschnitt zwischen 5618 und 5335 v. Chr. ein. Dies deutet darauf hin, dass die Schädel von neolithischen Menschen stammten, die über einen beachtlichen Zeitraum von fast drei Jahrhunderten starben. Die meisten Schädel schienen männlich zu sein.
Archäologen mutmaßen: Wurden die Schädel für ein schauerliches Ritual genutzt?
In der Studie, die in der Fachzeitschrift „European Journal of Archaeology“ veröffentlicht wurde, stellen die Wissenschaftler eine Theorie zu dem Schädelhaufen auf: Sie vermuten, dass die Schädel die Ahnen des Hauses waren und regelmäßig in einem Ahnenritual aktiv genutzt wurden. Weil Schnittspuren oder andere Anzeichen von Gewalt fehlten, schloss das Forschungsteam aus, dass es sich um die Köpfe von Feinden handelte, die als Trophäen gesammelt wurden.
Vielmehr lässt die Art und Weise, wie die Schädel zerbrochen wurden, darauf schließen, dass sie aus Bestattungen geborgen und von Nachkommen gesammelt wurden. Über mehrere Generationen hinweg wurden sie wohl für ein besonderes Ritual genutzt.
„Wir glauben sicherlich, dass menschlicher Knochen eine bestimmte Bedeutung hatte und angesichts der Regelmäßigkeit, mit der mit ihnen interagiert wurde, möglicherweise als eine wirksame Substanz angesehen wurden“, sagte Jess Thompson, Co-Autorin und Archäologin an der Uni Cambridge, gegenüber „Live Science“.
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In der Steinzeit keine Seltenheit: Dafür wurden Schädelknochen damals benutzt
Die heutige Ausgrabungsstätte Masseria Candelaro war einst ein kleines, von konzentrischen Gräben umgebenes Dorf. Innerhalb der Siedlung entdeckten Archäologen eine vertiefte Struktur, die sie „Struktur Q“ tauften. Diese enthielt verschiedene Schichten mit sowohl häuslichen als auch rituellen Artefakten.
In einer der oberen Schichten stießen die Forscher auf ein Versteck mit Schädelknochen, das nur leicht mit Erde bedeckt war. Dies deutet darauf hin, dass die Knochen zurückgelassen und nicht bewusst begraben wurden. Da Struktur Q kein Friedhof war, ist es ungewöhnlich, dort menschliche Überreste zu finden, erklärte die Archäologin Thompson.
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In der Prähistorie gibt es mehrere Beispiele von Kulturen, die menschliche Schädel zu verschiedenen Zwecken benutzten. Das wohl berühmteste Beispiel sind die Schädelbecher aus der Gough‘s Cave, einer Höhle in England, in der vor 15.000 Jahren Schädel zu Trinkgefäßen geschnitzt wurden. Über zahlreiche neolithische Stätten in Südwestasien verteilt fanden Archäologen außerdem Hinweise auf Trauerpraktiken, bei denen der Schädel oder Unterkiefer verstorbener Verwandter getragen wurde.