Berlin. Im Missbrauchsprozess von Avignon haben die Plädoyers begonnen. Pelicots Anwalt fordert volle Verantwortung der 51 Angeklagten.

Die Nebenklage um Opfer Gisèle Pelicot im Missbrauchsprozess in Avignon hat die Verantwortung aller 51 Angeklagten für die zigfache Vergewaltigung betont. „Alle haben, zumindest als sie dieses Horrorhaus verlassen haben, verstanden, dass andere vor ihnen kamen und andere folgen würden“, sagte Anwalt Antoine Camus. „Jeder hat in seinem Maß, auf seinem Niveau zu dieser Monstrosität, zu diesem Martyrium dieser Frau beigetragen.“ Alle 50 neben Pelicots Ex-Mann angeklagten Männer hätten entschieden, einen Körper zu missbrauchen, der keine Einwilligung geben konnte. Alle hätten entschieden, sich vom Denken zu verabschieden.

Gisèle Pelicots Anwalt Camus kritisierte, dass das Strafrecht die Schwere der Taten nicht vollständig erfassen könne und bemängelte die Verteidigungsstrategien der Angeklagten. Viele behaupteten, nicht bei vollem Bewusstsein gewesen zu sein, einige gaben an, der Hauptangeklagte habe sie unter Drogen gesetzt. Camus betonte, dass diese Verteidigung viel über die Gesellschaft aussage. Stéphane Babonneau, der zweite Anwalt von Gisèle Pelicot, forderte, die Tatsache, dass die Taten gemeinschaftlich und durch die Betäubung mit Medikamenten begangen wurden, als erschwerende Merkmale anzuerkennen. Auf Vergewaltigung stehen in Frankreich 15 Jahre Haft, bei schwerer Vergewaltigung drohen 20 Jahre.

Camus verglich das Vorgehen des Ex-Mannes, seine Frau chemisch zu unterwerfen, mit dem „perfekten Verbrechen“ und erklärte, dass ohne die Fotos und Videos der Taten die Misshandlung von Gisèle wahrscheinlich weitergegangen wäre.

Angeklagter zeigt Reue vor dem Gericht

Am Morgen hatte der Serienvergewaltiger Dominique Pelicot sich im Plädoyer mit Blick auf seine Familie reumütig gezeigt. „Ich hatte keine Ahnung, dass ich ihnen so viel Leid angetan habe“, sagte er am Mittwoch bei seiner letzten Anhörung von Gericht. „Ich bedaure, was ich getan habe.“ 

Pelicot wandte sich auch direkt an seine Tochter Caroline, die ihrem Vater vorwirft, sie – wie ihre Mutter – mit Medikamenten betäubt und missbraucht zu haben. „Ich kann ihr nicht das Gegenteil beweisen“, sagte er. „Es fällt mir schwer, sie so zu sehen, ich möchte mit ihr darüber reden“, begann der Angeklagte, bevor seine Tochter ihm von der anderen Seite des Gerichtssaals aufgebracht das Wort abschnitt. „Gib es doch zu, vor diesem Gericht“, schrie sie ihn an. „Ich werde Dich niemals wiedersehen. Du wirst allein zugrunde gehen.“ 

Am Nachmittag werden die Plädoyers der Nebenklage erwartet. Gisèle Pelicot, die von ihrem Mann über Jahre hinweg immer wieder betäubt und gemeinsam mit fremden Männern vergewaltigt wurde, hatte während des Prozesses betont: „Eine Vergewaltigung ist eine Vergewaltigung“. Mehrere der 51 Angeklagten hatten argumentiert, sie hätten den Eindruck gehabt, sich an einem sexuellen Spiel eines freizügigen Paares zu beteiligen, in dem sich die Frau nur schlafend stellt.

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Schockierender Prozess in Avignon: Pelicot drohen bis zu 20 Jahre Haft

Knapp zehn Jahre lang soll der Hauptangeklagte, Pelicots damaliger Ehemann, seine Frau mit Medikamenten betäubt und missbraucht haben. Auch habe er sie von fremden Männern vergewaltigen lassen, während sie bewusstlos war. Hunderte Fotos und Videos zeugen von den Taten. Die Männer, die zur Tatzeit zwischen 21 und 68 Jahre alt waren, lernte der damalige Ehemann über eine Online-Plattform kennen. 50 von ihnen stehen mit ihm vor Gericht. Chefermittlerin Gwenola Journot geht von weiteren 10 bis 20 Tätern aus, die die Justiz nicht identifizieren konnte.

Schon seit Beginn des Verfahrens Anfang September wühlt der schaurige Prozess Frankreich auf. Immer wieder demonstrierten Menschen, um ihre Unterstützung für Pelicot zu zeigen. Rund um das Gericht in Avignon ist der Beistand allgegenwärtig. Auf Plakaten wird die Höchststrafe von 20 Jahren Haft für die Angeklagten gefordert. Zitate des Missbrauchsopfers sind an Häuserfassaden zu lesen.

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Gisèle Pelicot wird zu feministischer Ikone – Öffentliche Debatte entflammt

Pelicot wird als Kämpferin, als Sonne, als Emblem bezeichnet. Mit ihrem offenen Umgang, ihrer Unverblümtheit und ihrem entschiedenen Auftreten ist sie in Frankreich längst zur feministischen Ikone geworden. Die Anfang-Siebzigjährige betont: „Es ist nicht Mut, sondern der Wille und die Entschlossenheit, diese Gesellschaft voranzubringen.“

Der Fall hat zudem die Debatte um „Ja heißt Ja“ wieder aufflammen lassen. Aktivistinnen und Aktivisten fordern seit Langem, dass in sexuelle Handlungen ausdrücklich eingewilligt werden müsse und dass dies im Strafrecht festgeschrieben werden solle. Dann könnten mutmaßliche Täter sich vor Gericht nicht damit herausreden, von der fehlenden Einwilligung nicht gewusst zu haben. Die französische Nationalversammlung beschäftigt sich derzeit mit einem entsprechenden Vorschlag zur Gesetzesänderung mit Blick auf die Definition sexueller Gewalt.

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