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Sie lebt in Schottland und ist nirgendwo auf der Welt so populär wie in Deutschland: Rosamunde Pilcher. Die Schriftstellerin hat 27 Bücher geschrieben. Immer geht es um Familiengeheimnisse, Leidenschaft und gebrochene Herzen.
Eine Überdosis Rosamunde Pilcher erkennt man an folgenden Symptomen: An der Mietwohnung im dritten Stock hängt das handgetöpferte Schild „Rose Cottage“, der Volkswagen wurde gegen einen alten Rover getauscht, und der Ehemann bekommt nicht nur zu Weihnachten eine Cordhose, sondern zum Geburtstag auch noch ein Tweed-Jackett mit Ärmelschonern. Das kommt davon, wenn man alle Pilcher-Bücher gelesen, alle Pilcher-Filme gesehen hat und den Jahresurlaub nicht auf Mallorca, sondern in Cornwall verbrachte. Das kommt davon, wenn man ihm verfallen ist, dem Zauber einer Welt, in der man sich am Ende kriegt.
Rosamunde Pilcher ist Engländerin, geboren in Cornwall, wohnhaft in Schottland, sehr britisch in ihren Vorlieben, aber nirgendwo auf der Welt so populär wie in Deutschland. Am Sonntag (20.15 Uhr) strahlt das ZDF mit „Lords lügen nicht“ schon Nummer 98 der erfolgreichsten Serie in der Geschichte der Anstalt aus, was unter anderem schon deshalb bemerkenswert ist, weil Rosamunde Pilcher nur 27 Bücher geschrieben hat. Wenn man die neun mitrechnet, die sie unter dem Pseudonym „Jane Fraser“ veröffentlichte. Der Rest rekrutiert sich aus Kurzgeschichten und Fragmententen.
Die herzensgute Enkelin des Grafen
Mordsquoten sind garantiert, und die Geschichte wird, ohne dass man zu viel verrät, glücklich enden. Zuvor gibt es aller Voraussicht nach einige Klippen zu umschiffen, auf denen geldgierige Spekulanten, hinterlistige Erbschleicher und andere Nichtsnutze lauern, die es auf den Familiensitz und/oder die herzensgute Enkelin des Grafen abgesehen haben.
Im Feuilleton regt sich angesichts solch vermeintlich schlichter Muster gern Verachtung, aber die Menschen lieben es. Man fragt sich warum, liest noch einmal die „Muschelsucher“, den Roman, mit dem Rosamunde Pilcher berühmt wurde, und entdeckt dort eine Autorin, die mühelos 700 Seiten füllt mit der Geschichte einer Familie über vier Generationen – ohne dass es langweilig wird.
Wildromantische Küste und ein Adelstitel
Der Klappentext der deutschen Ausgabe schwärmt zwar vom „Duft wilder Hyazinthen, der aus einem englischen Garten in unsere Zeit hinüberweht“, aber da ist zweifellos mehr. Etwa die präzise Zeichnung der Charaktere, die intelligente Entwicklung der Handlung sowie eine echte Herzlichkeit – das alles vermittelt mit einem sicheren Stilgefühl. Es geht um Familiengeheimnisse, Leidenschaft und gebrochene Herzen, und am Ende denkt der Leser, der meistens eine Leserin ist: Ja. So geht es bei uns auch zu, oder so sollte es bei uns zugehen, auch wenn wir vielleicht nicht einen Landsitz an einer wildromantischen Küste und einen Adelstitel haben.
Von den „Muschelsuchern“ wurden über fünf Millionen Bücher verkauft. Die Verfilmung lief sensationell gut, eine Bearbeitung fürs Theater funktionierte prächtig, und Rosamunde Pilchers Leben veränderte sich dramatisch. Bis dahin war die ehemalige Marine-Sekretärin Hausfrau, vierfache Mutter, die sich die Zeit fürs Schreiben aus einem vollgepackten Alltag stehlen musste, abends am Küchentisch.
Kein Sex in
den Büchern
Das Geld von den „Muschelsuchern“ stopfte die ärgsten Löcher im Familienetat. „Endlich konnten wir unseren Enkeln eine anständige Ausbildung finanzieren und den Kindern beim Kauf eines Hauses helfen“, hat Rosamunde Pilcher einmal in einem Interview erklärt und dabei noch ein paar andere Geheimnisse preisgegeben. Etwa das Rezept ihres Erfolgs: kein Sex in den Büchern, aber auch keine Banalitäten wie etwa Geld. „Sex und Geld können das Leben bereichern, aber sobald man darüber redet, verlieren sie ihren Zauber.“
Ist es das, was Pilchers Ruhm ausmacht? Oder ist da nicht doch mehr? Wenn das so einfach wäre, würden auch die unzähligen anderen Botschafter der romantischen Liebe steinreich werden, die schlichten Handwerker, die aus verarmtem Graf und anständigem Mädel eine Liebe zimmern. Geschafft hat es aber nur eine, und zwar Inga Lindström. Die hat übrigens unter ihrem richtigen Namen Christiane Sadlo früher die Drehbücher der Pilcher-Filme geschrieben.