Cape Canaveral. Aus einer Woche wurden drei Monate: Zwei Astronauten sitzen auf der ISS fest. Die Nasa sucht nach einer Lösung und hat nur zwei Optionen.

Es ist eine Geschichte, die sich Science-Fiction-Autoren nicht besser hätten ausdenken können: Seit fast drei Monaten sitzen Suni Williams und Barry Wilmore auf der ISS fest. Geplant gewesen war ursprünglich nur ein rund einwöchiger Aufenthalt. Doch der „Starliner“, ein von Boeing entwickeltes Raumschiff, das Astronauten ins Weltall gebracht hat und eigentlich auch wieder zurück zur Erde bringen sollte, macht Probleme. Und so ist noch immer unklar, wann der unfreiwillige Langzeit-Trip zur ISS endet.

Für die Nasa ist das Versagen des „Starliners“ ein Fiasko. Nun wird kontinuierlich nach einer Lösung gesucht – doch bisher bleiben wirkliche Erfolge aus. Und so steht die US-Raumfahrtbehörde vor einer der schwierigsten Entscheidungen ihrer Geschichte: Ist es besser, die gestrandeten Astronauten in einer risikoreichen Mission zurückzuholen oder müssen die beiden so lange im All bleiben, bis eine sichere Methode für ihren Rückflug gefunden wurde? Bis Ende des Monats soll das entschieden sein.

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„Starliner“-Debüt wird zum Fiasko: Ist eine Rückreise mit Boeings Raumschiff sicher?

Im Fokus steht bei den Überlegungen vor allem Boeings „Starliner“, der mit dem Flug zur ISS vor rund drei Monaten sein großes Debüt feiern sollte. Beim ersten bemannten Testflug kamen Williams und Wilmore zwar heil auf der Weltraumstation an, doch es traten unter anderem Heliumlecks und Probleme mit den Triebwerken auf. Der ursprünglich für Mitte Juni geplante Rückflug wurde abgesagt.

Nun muss geklärt werden: Können es die beiden Astronauten mit dem „Starliner“ zurück zur Erde schaffen? Um das herauszufinden, führen Teams der Nasa und des Herstellers Boeing seit Wochen Tests und Untersuchungen durch, im All und auf der Erde. Klarheit habe das bisher nicht gebracht, heißt es. Die Teams hätten „großartige Arbeit“ geleistet, sagt Nasa-Manager Ken Bowersox – spricht aber auch von „schmerzhaften Diskussionen“. 

Die „Starliner“-Kapsel von Boeing an Bord einer Atlas-V-Rakete beim Start in Cape Canaveral.
Die „Starliner“-Kapsel von Boeing an Bord einer Atlas-V-Rakete beim Start in Cape Canaveral. © DPA Images | John Raoux

Elon Musk und Space X als Retter der Astronauten?

Diskutiert werden vor allem zwei Möglichkeiten: die riskante Rückkehr mit dem „Starliner“ oder ein Umschwenken auf einen Flug mit dem „Crew Dragon“, einem Raumschiff des Konzerns Space X. Für die erste Variante müssten die aufgetretenen Probleme mit den Triebwerken und Heliumlecks abschließend geklärt und aus dem Weg geräumt sein – was bislang nicht gelang. 

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Alternativ könnte der „Starliner“ ohne die beiden Astronauten zurück zur Erde fliegen. Der wegen der aktuellen Probleme von August auf September verschobene Start der „Crew 9“ mit dem „Crew Dragon“ würde dann mit nur zwei statt vier Astronauten durchgeführt. Williams und Wilmore würden Teil dieser Crew und mit ihren beiden Kollegen wohl Anfang 2025 zur Erde zurückkehren. Dafür bräuchten sie noch spezielle Raumanzüge, denn mit denen aus dem „Starliner“ kann man nicht einfach auch im „Crew Dragon“ fliegen. Wer von der ursprünglichen Crew in diesem Fall nicht mitfliegen würde, ist unklar.

Videografik: Raumkapsel "Crew Dragon" von SpaceX

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    „Wir wollen diese Entscheidung nicht darauf basieren, wie wir uns fühlen“, sagt Nasa-Manager Bowersox, „sondern rein auf den Daten“. Letztlich obliege die Entscheidung Nasa-Chef Bill Nelson. Der betont via Online-Plattform X, dass oberste Priorität immer die Sicherheit der Astronauten habe.

    Rückkehr zur Erde wohl frühestens in einigen Wochen

    Williams und Wilmore müssen sich jedenfalls noch auf weitere Zeit auf der ISS einstellen. Mit dem „Starliner“ könnten sie wohl frühestens im September zurück zur Erde, mit dem „Crew Dragon“ womöglich im Februar – in diesem Fall wären aus ihrer Woche an Bord rund neun Monate geworden. 

    Die 58-Jährige und der 61-Jährige seien erfahrene Astronauten, es sei nicht ihr erster Aufenthalt im All und an Bord der ISS und die beiden seien für alle Eventualitäten ausgebildet, betont die Nasa immer wieder. Sie seien in alle Gespräche eingebunden und „bereit zu tun, was immer sein muss“.

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    „Mit so einem Testflug ist man immer auch auf die Möglichkeit eingestellt, dass er länger dauern könnte“, sagt Nasa-Manager Joel Montalbano. „Aber es geht ihnen gut, sie sind voll integriert im Rest der Crew und genauso beschäftigt wie jede andere Crew da oben. Natürlich sind sie auch Menschen und das alles ist schwierig für Crew-Mitglieder und ihre Familien, das wissen wir. Aber sie sind professionelle Astronauten und machen das großartig.“ 

    Williams und Wilmore seien eine große Extra-Hilfe an Bord der ISS – aber die beiden verbrauchen auch Extra-Ressourcen wie Lebensmittel und Hygiene-Artikel. Zudem sind sie nun auch länger der im All höheren Strahlung ausgesetzt als ursprünglich veranschlagt. 

    Die Crew der ISS beherbergt Barry Wilmore und Suni Williams nun schon deutlich länger, als zunächst geplant.
    Die Crew der ISS beherbergt Barry Wilmore und Suni Williams nun schon deutlich länger, als zunächst geplant. © AFP | HANDOUT

    „Starliner“-Debakel ist weiterer Rückschlag für Boeing

    Bei allen Gedanken um die Astronauten: Im Hintergrund geht es auch um die Zukunft des „Starliner“. Das vom Luft- und Raumfahrtunternehmen Boeing im Auftrag der Nasa entwickelte und gebaute Raumschiff sollte eigentlich längst regelmäßig Astronauten zur ISS bringen – als Alternative zum „Crew Dragon“ der Raumfahrtfirma SpaceX von Tech-Milliardär Elon Musk, der das schon seit Jahren zuverlässig tut. 

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    Doch das teilweise wiederverwendbare Raumfahrzeug, das aus einer Kapsel für die Besatzung und einem Servicemodul besteht, sorgt immer wieder für Probleme: Beim ersten unbemannten Test kam das Raumschiff 2019 gar nicht erst an der ISS an. Ein zweiter glückte zwar 2022, doch danach häuften sich die Probleme wieder und führten zu zahlreichen Verschiebungen. 

    Man wolle unbedingt an der Idee von zwei alternativen Transportsystemen festhalten, betont Nasa-Manager Bowersox. Die Probleme seien lösbar, „und dann sehe ich eine strahlende Zukunft für den ‚Starliner‘“.