Berlin. Cornelia Funke über die Erfahrungen, die sie prägten, das Älterwerden und die Gründe, warum die Jugend es heute schwerer hat als früher.
Mit einer Gesamtauflage von über 31 Millionen Büchern zählt Cornelia Funke zu den erfolgreichsten deutschen Schriftstellerinnen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die 65-Jährige in ihren fantastischen Romanen einen einzigartigen Kosmos geschaffen hat, den sie zuletzt mit dem vierten Band ihrer „Tintenherz“-Reihe („Die Farbe der Rache“, Dressler) erweitert hat. Auch wenn sie in einem idyllischen Anwesen in der Toskana lebt, verschließt sie sich nicht vor den Problemen der Realität und versucht gleichzeitig, den künstlerischen Nachwuchs zu fördern. Im Interview erzählt sie von ihrer aktuellen Sicht auf die Welt, der Wichtigkeit von Kunst und von der Notwendigkeit, Schmerzen zu erleiden.
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Als Sie vor drei Jahren von Kalifornien in die Toskana zogen, waren Sie sich noch nicht sicher, ob Sie hier auf Dauer bleiben...
Cornelia Funke: Aber mittlerweile spüre ich eine sehr tiefe Verwurzelung. Ich finde es aufregend, wie sehr die deutsche und italienische Kultur in Italien verwoben sind. Ich genieße auch den Wechsel der Jahreszeiten. Inzwischen habe ich ein zweites Anwesen für mein Programm für junge Künstlerinnen und Künstler gekauft. Das ist für mich auch ein Beweis, wie sehr ich erstmal angekommen bin.
Cornelia Funke über Nachwuchskünstler: „Es ist gerade sehr schwer, jung zu sein“
Waren Sie als junge Schriftstellerin ähnlich gestimmt wie die Nachwuchskreativen, die Sie unterstützen?
Funke: Nein, weil die Welt ganz anders war. Es ist gerade sehr schwer, jung zu sein. Wir hatten die Hoffnung und den Glauben, dass wir eine Zukunft bauen können, die anders und besser als die unserer Eltern und Großeltern ist. Die meisten, die mich im Rahmen meines Projektes für junge Künstler besuchen kommen, haben dagegen das Gefühl, dass diese Welt ihnen in den Händen zerfällt und sie nicht einmal sicher sein können, dass es irgendeine Art von Zukunft gibt. Es gibt so viel sehr begründete Angst und Ratlosigkeit, wie man mit der zunehmenden Dunkelheit leben soll.
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Was können Sie für diesen Nachwuchs von Ihrer Seite aus tun?
Funke: Mein beruflicher Erfolg kann sie in dem Wunsch bestärken, als Künstler zu leben und zu arbeiten. Schon der Entschluss, das zu versuchen, erfordert ja viel Mut in unserer von Geld, Erfolg und Eigennutz besessenen Gesellschaft. Der Wunsch, Illustratorin, Schriftstellerin oder Filmemacherin zu werden, gilt weiter als verrückt oder unsicher. Dabei haben wir alle Corona vermutlich nur dank all dieser Berufe überstanden und jeder von uns hört jeden Tag Musik, liest Geschichten oder sieht sich Filme an. So viel Nützlichkeit kann man wohl wenigen Berufen nachsagen.
Im letzten Jahr erschien Ihr neuer „Tintenwelt“-Roman, der den bedrohlichen Untertitel „Die Farbe der Rache“ trägt. Spiegelt sich darin auch die verdüsterte Weltsituation?
Funke: Ich wäre eine sehr schlechte Geschichtenerzählerin, wenn ich losgelöst von der Wirklichkeit schreiben würde. Aber von ganz vielen Lesern habe ich gehört, dass „Die Farbe der Rache“ das Prinzip Hoffnung in sich trägt. Das war auch meine Absicht. Das wahrscheinlich Wichtigste, das ich im Leben gelernt habe, ist, dass in der Gemeinschaft alles ein bisschen leichter ist. Im Miteinander lassen sich die finstersten Situationen bewältigen. Und deshalb freue ich mich auch darauf, nun durch den zweiten Standort meines Projektes mehr junge Künstler und auch Naturschützer einzuladen und Teil einer Gemeinschaft zu werden, die versucht, all der Dunkelheit etwas Licht entgegenzusetzen.
Cornelia Funke: „Habe ein Leben gelebt, für dessen Fülle ich sehr dankbar bin“
Allerdings gibt es in der Welt auch Menschen mit zerstörerischen Kräften. Inwieweit sind Ihnen diese persönlich schon begegnet?
Funke: Ich habe unlängst mit den Mitarbeitern einer großen Stiftung darüber gesprochen, wie viele fantastische und beeindruckende Menschen wir kennen und dass wir uns alle fragen, wo denn all die anderen herkommen, die den Ton in der Welt angeben. Leider ist es sehr viel leichter, zu zerstören als aufzubauen. Gewalt ist so viel lauter als Güte.
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Wie war das bei geschäftlichen Verhandlungen, wo ja teilweise auch mit harten Bandagen gerungen wird?
Funke: Da hat man bisweilen mit Leuten zu tun, die ihre eigenen Unternehmensinteressen allzu sehr im Blick haben. Aber mir ist noch niemand begegnet, der skrupellos das eigene Profitstreben über das leibliche Wohl anderer stellt. Allerdings bin ich auch meist im Buchgewerbe unterwegs, wo vielleicht die Gewinne nicht groß genug sind, um Gewissenlosigkeit anzuziehen.
Sind Sie eine harte Verhandlungspartnerin?
Funke: Wenn ich das beschützen muss, was ich geschrieben oder gezeichnet habe. Oder dem Vorurteil entgegentreten muss, dass Künstler nichts vom Geschäft verstehen und Frauen schon gar nicht.
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Sie sind ja jetzt 65. Eigentlich könnten Sie schon in Rente gehen.
Funke: Zum Glück habe ich einen Beruf, wo man darüber nicht nachdenkt und mit den Jahren hoffentlich nur besser wird. Aber ich bin sowieso nie jemand gewesen, der Pläne für die Zukunft oder ein Sicherheitsdenken braucht. Ich habe mich nur darum gekümmert, dass meine Kinder versorgt sind. Allerdings habe ich die 60 schon als großen Einschnitt empfunden, nach dem Motto: „Hier kommt der letzte Akt. Mach was draus, Cornelia.“ Das Projekt für die jungen Künstler zu gründen hat sicher auch mit dem Gefühl zu tun, jetzt in einem Alter zu sein, wo man weitergeben sollte, was man gelernt hat.
Könnten Sie den Gedanken ertragen, wenn jetzt alles vorbei wäre?
Funke: Ja, denn ich habe wirklich ein Leben gelebt, für dessen Fülle ich jeden Tag sehr dankbar bin. Das ging mir eigentlich auch schon vor zehn Jahren so. Aber dieses Projekt bereichert mein Leben nochmal auf ganz neue und unerwartete Art, so sehr, dass ich mich manchmal frage: „Was wäre passiert, wenn du diese Idee nicht gehabt hättest?“ Wer oder was immer mir das eingeflüstert hat, dem sage ich herzlichen Dank. Es ist das Beste, was ich bisher gemacht habe.
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Im „Die Farbe der Rache“ fällt der Satz: „Die schlimmsten Erinnerungen liefern die besten Geschichten“. Ist da etwas dran?
Funke: Sehr viel sogar. Von Situationen, die das Herz schwer machen und sehr viel von uns verlangen, kann man oft sehr gut erzählen, während unsere glücklichen Tage oft schwer in Worte zu fassen sind. Die Schmerzen gehören zum Leben genauso dazu wie die Freuden. Ich habe beides erlebt, aber Schmerzen sind oft der Preis für Liebe, und was wäre das Leben ohne all die, die wir lieben?
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Sie sprechen da wohl auch den Tod Ihres Mannes an, der 2006 an Krebs verstarb. Wie stark vermissen Sie ihn heute?
Funke: Ich werde ihn immer vermissen. Ich hatte das Glück, einen wirklich guten Gefährten an der Seite zu haben. Viele sehr gute Freunde haben die Lücke gefüllt, aber natürlich gibt es Erlebnisse, die man gern mit ihm geteilt hätte – wie die Geburt meiner Enkelin. Trotzdem überwiegt die Freude, dass ich durch ihn zwei Kinder und nun eine Enkeltochter habe. Und jeder Schmerz erinnert uns nur an all die Liebe, die wir fühlen. Das geht mir auch so, wenn ich sehr gute Freunde aus Los Angeles vermisse. Das ist das Gewebe des Lebens. Wobei ich Verstorbene nicht als verloren empfinde. Sie sind für mich weiter präsent. Das ändert nichts daran, dass man manchmal sagen möchte: „Komm, wir gehen zusammen einen Kaffee trinken.“