Berlin. Laser und Drohne statt Schaufel und Pinsel. Dem deutschen Archäologen Heiko Prümers gelingt dank moderner Technologie ein erstaunlicher Fund.
Eine Schaufel fürs Grobe, eine Spitzkelle für die feinen Bodenschichten und dazu noch ein kleiner Pinsel für die Arbeit an Knochen, Scherben oder auch Münzen und Schmuck – so stellt sich manch einer einen gut ausgerüsteten Archäologen vor, der in einem Erdloch sitzt und buddelt. Das ist nicht falsch. Aber wer sich als Wissenschaftler in die entlegene Wildnis aufmacht, um die Rätsel der Menschheit zu lösen, ist oftmals mit aufwendiger Technologie unterwegs. Der Altamerikanist Heiko Prümers vom Deutschen Archäologischen Institut (DAI) in Bonn zum Beispiel untersucht sein Forschungsgebiet im bolivianischen Amazonasgebiet mit Laserscannern aus der Luft: mit der sogenannten Light-Detecting-and-Ranging-Technologie, kurz Lidar. Ähnlich wie zuletzt Wissenschaftler in Ecuador und auch in Mexiko hat er erstaunliche Funde gemacht.
Zu den herausragenden Entdeckungen gehörte zuletzt der Nachweis von groß angelegten Stadtanlagen der bis dahin nur in Ansätzen erforschten Casarabe-Kultur (ca. 500 bis 1400 n. Chr.). Diese Menschen bewohnten ein Gebiet in einer Überschwemmungssavanne im Südwesten des Amazonastieflandes, das ungefähr so groß ist wie das Bundesland Thüringen. Die Region ist geprägt von inselartigen Baumbeständen sowie ebenem Grasland, das in der Regenzeit in weiten Teilen unter Wasser steht. Dort bauten die Casarabe-Menschen verblüffend große Siedlungen. Das konnte Prümers in einem gemeinsamen Projekt mit der Universität Bonn nachweisen. Kurz vor Ankunft der ersten Spanier in Amerika Ende des 15. Jahrhunderts verschwand die Kultur plötzlich. Warum, das ist eines der Rätsel, denen Prümers auf der Spur ist.
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Mit diesen Werkzeugen forschen Archäologen heute
Wenn der Forscher im Gelände unterwegs ist, arbeitet er meist mit einem Kollegen aus Bolivien zusammen, der eine Lizenz der Behörden für das Fliegen von Drohnen hat. „Die Drohne kann so bis zu vier Kilo tragen. Das ist schon stattlich. Und da hängt dann das Lidar-Modul dran, das vom gleichen Hersteller stammt.“ Diese Kombination sei fantastisch, sagt Prümers, weil man nichts selber basteln müsse. „Man klickt den Sensor ein und fliegt los“, sagt er.
An einem Tag könne man so die gleiche Fläche vermessen, für die früher mit terrestrischer Vermessung mindestens ein halbes Jahr benötigt worden wäre. Anstelle von 20.000 Bodenpunkte, für die damals bis zu zehn Mann mit Macheten das Unterholz frei schlagen mussten, „damit man da überhaupt messen kann“, seien es nun bis zu 30 Millionen per Laser gemessenen Punkte mit einer Höhengenauigkeit im Zentimeterbereich. „Man sieht im Prinzip genau das gleiche“, sagt Prümers. Nur seien die Bilder deutlich detailgetreuer.
Prümers arbeitet schon länger als 20 Jahre in der Region. Und was er nach den Messungen sah und erstmals 2022 zusammen mit seiner Bonner Kollegin Carla Jaimes Betancourt vom dortigen Institut für Altamerikanistik in einem „Nature“-Artikel veröffentlichte, waren bis dahin vollständig unbekannte Siedlungsmuster. Eigentlich steht die Savanne mehrere Monate im Jahr wegen der Regenzeit unter Wasser. Zur dauerhaften Besiedlung ist die Region nicht unbedingt geeignet. Aber Prümers machte mit Lidar eigenartige „Hügeln“ kenntlich sowie Dämme und Kanäle, die oft kilometerweit schnurgerade durch die Savanne führen. Wie sich herausstellte, handelte es sich bei den „Hügeln“ um Pyramidenstümpfe und Plattformen von Bauten, deren oberer Teil nicht mehr existiert.
Forscher entdeckt Reste von Gefäßen und damit untergegangene Kultur
„Eine der Siedlungen, Cotoca, war größer als Bonn im 17. Jahrhundert“, sagt Prümers. Zu der Zeit lebten rund 5000 Menschen in der Stadt am Rhein. Wie viele Menschen genau in der Mojos-Ebene lebten, sei jedoch noch nicht abschließend beantwortet, sagt Prümers. Schon vor den Lidar-Messungen hatten der Archäologe und sein Team großflächige Grabungen in zwei der Siedlungen durchgeführt. Diese lieferten umfassende Daten zur Lebensweise der Menschen und ergänzen so das Bild der Casarabe-Kultur. Denn so schön die Lidar-Technik für die Abbildung von Bodenstrukturen auch ist, in das Erdreich dringt sie keinen einzigen Zentimeter ein.
Was Prümers zunächst fand, waren Scherben und andere Reste von Gefäßen. „Die Keramik aus diesen Fundorten hat sehr charakteristische Formen und Dekors, die sich nicht außerhalb des Verbreitungsgebietes der Siedlungen der Casarabe-Kultur findet. In dieser Kombination erlauben es uns die Daten, von einer ganz eigenständigen Kultur zu sprechen“, sagt Prümers. „Und deshalb habe ich damals gesagt, okay, jetzt müssen wir dem Kind einen Namen geben.“ Und da das einzige größere Dorf in der Gegend Casarabe heißt, hat er die Kultur nach dem Ort benannt. Und unter diesem Namen wird sie nun in der Forschung diskutiert.
Archäologie: Suche nach möglichen Schätzen verläuft zäh
Wertvolle Schätze fand Prümers bislang nicht. Es ist auch nicht sicher, ob es überhaupt einen größeren Reichtum in der Casarabe-Gesellschaft gab. Zwar deuten die komplexen Siedlungsstrukturen auf eine entwickelte Aufgabenverteilung der Menschen, die sie erbaut haben – wie sie auch von den Azteken, Maya oder den alten Ägyptern bekannt ist.
Ob das aber auch bedeutet, dass es eine wohlhabende Elite gegeben hat, die die Entwicklungen steuerte und Untertanen befehligte, könnte sein, doch Prümers bezweifelt das. „Es gibt gerade auf dem amerikanischen Doppelkontinent viele Beispiele für egalitäre Gesellschaften ohne starke Herrscher. Und die haben oft über viele Jahrhunderte gut existiert“, sagt der Archäologe. „Selbst die Häuptlinge können bestenfalls bitten, aber sie können niemandem etwas sagen, was er zu tun und zu lassen hat.“
An der Fundstelle in der Mojos-Ebene gebe es zumindest Anzeichen für eine eher wenig hierarchisierte Gesellschaft, „wenn auch schwache“, sagt der Archäologe. „Wir haben einige Gräber gefunden, die besser ausgestattet sind als die anderen.“ Die meisten Gräber seien beigabenlos. „Und dann haben wir ein paar Bestattungen, die Körperschmuck und auch andere Grabbeigaben dabeihaben. Das deutet schon auf einen gewissen Status dieser Personen hin. Aber ob sie dann nun auch das große Sagen hatten in ihrer Kultur, das ist eben die Frage.“
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Was für die Archäologie nicht sichtbar ist
Was aber bringt eine solche Gesellschaft zu dem Erfolg, in einer eher unwirtlichen Ecke des Amazonastieflandes zu bestehen? Die Böden in der Region sind eher nährstoffarm und nicht sonderlich ertragreich. Insofern ist nicht klar, was den Aufstieg der Casarabe-Kultur begünstigte. Prümers sagt, bei der Frage stehe er mit seinen Kollegen noch am Anfang. Aber: „Eine Kultur richtet sich in einer Nische ein. Und wenn diese Nische anfängt unbequem zu werden, etwa weil es zu viel regnet oder zu wenig regnet, dann kann dies das Ende bedeuten, wenn die Kultur nicht über Mechanismen verfügt, die Defizite auszugleichen.“
Wie kam es also zum Ende der Casarabe-Kultur? Prümers geht davon aus, dass die Leute eine längere Dürre, oder auch einen verheerenden Krieg in der wenig vernetzten Welt um 1400 im Tiefland von Amazonien nicht lange überstanden hätten. „Sie überleben vielleicht ein Jahr, wenn die Vorratsspeicher gefüllt sind und es solche gibt. Aber sie überleben keine drei Jahre.“
Die Folgen seien jedoch für Archäologen nicht direkt sichtbar, sondern es würde sich zunächst ein klassischer Bevölkerungsschwund entwickeln. Das Leben ginge trotzdem auch nach den drei Jahren weiter. „Das heißt, wir haben eine Bevölkerung, die überlebt – wenn auch in geringem Maße. Und was wir dann archäologisch aus der tatsächlichen Zeit des Niedergangs fassen, ist dann sicherlich ein sehr verzögertes Echo einer Krise, die vorher stattgefunden hat.“
Vielleicht gab es Krieg, vielleicht auch soziale Unruhen, vielleicht beides nacheinander und vielleicht auch nach oder wegen einer langen Dürre. Was zuerst war, kann Prümers mit Lidar nicht herausfinden, dazu muss er graben – mit Schaufel, Kelle und Pinsel. „Wir sind da noch am Anfang. Eigentlich können wir im Augenblick bislang nur über die Lidar-Aufnahmen staunen“, sagt Prümers.