Berlin. Die Fans stehen hinter Till Lindemann und Rammstein. Eine Psychologin erklärt das Verhältnis zwischen Band und Anhängern.
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- Die Konzerte der Band sind ausverkauft
- Eine Psychologin sagt, warum viele Fans weiter hinter der Band stehen
Berlin. Fanliebe lebt auch dann oft weiter, wenn die Stars im Feuer der Kritik stehen. Wie im Fall der Band Rammstein. Zahlreiche Frauen warfen Rammstein-Sänger Till Lindemann Machtmissbrauch und übergriffiges Verhalten vor. Trotz der Vorwürfe gehen Anhänger der Band weiter auf Konzerte, beschuldigen die Frauen zu lügen und pochen auf die Unschuldsvermutung. Warum die Fans weiter eisern zu Rammstein halten, weiß Psychologin Martina Lackner. Sie ist praktizierende Psychotherapeutin und schreibt Bücher über Macht und Geschlechterverhältnisse.
Frau Lackner, was macht die Beziehung zwischen Fan und Idol eigentlich aus?
Martina Lackner: Fan-Idol-Beziehungen beginnen in der Regel in der Pubertät, wenn Jugendliche anfangen, sich von ihrem Elternhaus abzulösen. Sie suchen sich dann neue Vorbilder und Leitfiguren. Das können Musiker, Schauspieler, Sportler oder andere Berühmtheiten sein. In diesen Beziehungen entstehen dann Abhängigkeiten. Ein Musiker kann zum Beispiel über seine Songs seine Fans begeistern, aber auch manipulieren.
Und verführen?
Lackner: Ja. Junge Mädchen sind besonders anfällig dafür. In der Zeit der Pubertät kommt die erste Phase der Verliebtheit, sie fangen an zu träumen, haben Beziehungswünsche. Sie projizieren die Träumereien auf diese neuen Leitfiguren, schauen zu ihnen auf, verlieben sich in sie. Dann entstehen emotionalen Abhängigkeiten, die Menschen wie zum Beispiel Till Lindemann ausnutzen können.
Viele Fans von Rammstein und Till Lindemann scheinen sich mit den Vorwürfen nicht auseinandersetzen zu wollen.
Lackner: Ich denke, dass Lindemanns Texte ausdrücken, was viele Fans selbst leben wollen oder haben möchten. Es gibt also einen Teil in ihnen, der sich mit dem identifiziert, was Lindemann auf der Bühne sagt. Eine ähnliche Haltung gegenüber Leben und Menschen. Die Verherrlichung von Gewalt zum Beispiel. Da docken, denke ich, viele männliche Fans an.
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Zudem herrscht eine unglaubliche Gruppendynamik. Tausende Fans, die wie eine Gemeinschaft wirken, gehen zu einem Konzert, stehen vor der Bühne. Tausende können nicht irren, denken dann viele. Unter Fans bildet sich zudem eine Gemeinschaft. Menschen sind soziale Wesen und suchen immer nach Gruppen, in denen sie sich wiederfinden und wohlfühlen können. Solche Fan-Gemeinschaften haben die gleiche Leidenschaft, ähnliche Werte. Diese Kombination aus ähnlichen Werten und Identifikation mit dem Vorbild führt dazu, dass die Fans nichts von den Vorwürfen hören wollen.
Aber Lindemanns Texte sind doch Teil seiner Kunst und nicht zwangsläufig wörtlich zu verstehen.
Lackner: In jeder Form von Kommunikation – egal, ob im Gespräch zwischen zwei Menschen oder auf der Bühne zwischen Künstler und Publikum – gibt es eine offizielle Botschaft und eine inoffizielle Botschaft. Kein Mensch erschafft etwas Künstlerisches, was gar nichts mit ihm zu tun hat, was nicht in seinem Innersten vorhanden ist. Das Konzept der Kunstfigur gibt die Möglichkeit, das wahrhaftige Sein dahinter zu verbergen. Es ist ein zweites Ich, das man der Gesellschaft präsentiert.
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Lindemann änderte bei vergangenen Konzerten in Berlin Songtexte, indem er "Und die Sänger vögeln nicht mehr" und "Wer hat Angst vor Lindemann" statt des Originaltextes sang. Wie ist das aus Ihrer Sicht zu interpretieren?
Lackner: Er tut auf der einen Seite so, als sei er "der brave Junge", auf der anderen Seite ist dieses Verhalten als ein sarkastischer Ausdruck latenter Aggression zu verstehen.
Trotz der Vorwürfe verehren weibliche Fans Lindemann weiterhin, verteidigen ihn regelrecht.
Lackner: Die Frauen verhalten sich dahingehend ein bisschen wie der verlängerte Arm des Patriachats. Indem Frauen die Vorwürfe nicht hinterfragen, sich nicht distanzieren oder etwas dagegensetzen, sagen sie "Ja" zu einem patriarchalen System, zu missbräuchlichen und gewalttätigen Verhaltensweisen.
Woran liegt das?
Lackner: Das hat mehrere Gründe. Das liegt zum einen daran, dass die Vorwürfe außerhalb der Vorstellungskraft mancher Frauen liegen. Das kann auf fehlende Lebenserfahrung aufgrund von einem jungen Alter zurückzuführen sein. Es gibt aber auch sehr viele Frauen, die unbewusst diese Strukturen unterstützen, weil sie einen Vorteil davon haben. Ihnen wird durch die Unterstützung zum Beispiel ein höherer Status, Geld, Zuneigung oder irgendetwas anderes zuteil.
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Einige Frauen betreiben "Victim-Blaming". Sie beschuldigen die Frauen, die Vorwürfe gegen Lindemann erhoben haben, selbst schuld an dem Erlebten zu sein. Woher kommt das?
Lackner: Diese Opfer-Täter-Umkehr ist etwas, was diese Frauen kennen. Seit Jahrtausenden gilt: Wenn jemand schuld an etwas ist, dann sind es die Frauen. Männer haben Frauen schon immer die Schuld für alles gegeben. Die Frauen, die "Victim-Blaming" betreiben, haben die Haltung des Patriarchats übernommen. Wenn Frau etwas passiert, dann ist sie selbst schuld. "Dein Rock war zu kurz, du hast dir Sekt einflößen lassen, du warst zu blauäugig" – das sind Schuldinduktionen, die seit Jahrtausenden so laufen.
Viele denken, wie es ihnen von ihrem Umfeld beigebracht wurde. Wenn eine Frau im Kindes-und Jugendalter gelernt hat, dass sie nur mit bestimmten Verhaltensweisen von ihrem Vater, Onkel oder anderen männlichen Bezugspersonen akzeptiert und belohnt wird, dann wird sie Lindemanns Verhalten nicht hinterfragen und die Schuld bei den Frauen suchen.
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Die Konzerte von Rammstein sind weiter ausverkauft und die Band selbst äußert sich kaum zu den Vorwürfen. Welche Reaktionen haben Sie überrascht?
Lackner: Mich hat ehrlicherweise gar nichts überrascht.
Gar nichts?
Lackner: Wenn man sich länger mit den Themen Gewalt, sexualisierte Gewalt und Machtmissbrauch auseinandersetzt, dann merkt man irgendwann, dass es fast immer ein bestimmtes Muster gibt. Es gibt jemanden, der Gewalt ausübt, Menschen, die es zulassen und Menschen, die sich der Macht unterwerfen – das ist das Muster. Im Fall Rammstein gibt es einen Sänger, der seine Macht missbraucht, ein System dahinter, das es ermöglicht und gewaltverherrlichenden Texte, die bei der Gesellschaft auf Resonanz treffen. Es gibt Studien, die zeigen, dass jede vierte Frau häusliche Gewalt erlebt hat. Frauen, die aus gewaltvollen Herkunftsfamilien kommen, docken an Männer an, die Machtmissbrauch und Gewalt ausüben. Es ist wie ein Schlüssel, der ins Schloss passt.