Berlin. Europol führt eine Liste der meistgesuchten Personen Europas. Wer sie sind, was sie verbrochen haben – und wie sie nun gejagt werden.
Ein Raum voller besorgt dreinblickender Menschen an Computern. Ein diabolischer Bösewicht mit einem perfiden Plan, die Welt in den Krieg zu stürzen. Oder direkt ganz zu vernichten. Und früher oder später fällt der Satz, dass der Verbrecher „auf der Fahndungsliste ganz oben steht“. So kennt man es aus Filmen, im echten Leben laufen einem die „Most Wanted“-Listen eher selten über den Weg. Osama Bin Laden stand mal ganz oben, hin und wieder schaffen es Taliban- oder IS-Führer in die Nachrichten, wenn sie sich an die Spitze der Top-Verbrecher gesetzt haben.
Ein Blick auf die Liste des europäischen Polizeiamts Europol offenbart: Mit Hollywood hat die echte Fahndungsliste nicht viel zu tun. Die Meistgesuchten sehen nicht aus wie kriminelle Genies, eher wie der Nachbar von schräg gegenüber, und dass der Gegenspieler von Tom Cruise im nächsten „Mission Impossible“ wegen besonders schwerer Steuerhinterziehung gejagt wird, ist auch eher unwahrscheinlich.
True Crime:
Bleiben also die Fragen: Wer tummelt sich auf der Europol-Liste, und warum? Und wie verfolgt die europäische Polizei Menschen, die es auf die Fahndungsliste geschafft haben? Wie gesagt, die meisten Verbrecher, die einem vom Computerbildschirm entgegenstarren, dürften große Unbekannte sein. Eine Ausnahme ist da Jan Marsalek, der mutmaßliche Wirecard-Betrüger, in Deutschland zu fragwürdigem Ruhm gelangt. Viel Erhellendes über den flüchtigen Österreicher kann Europol nicht beisteuern, nur den Hinweis, dass er sich wahrscheinlich im Ausland, aller Wahrscheinlichkeit nach in Russland, herumtreibt.
Wie die „schöne Tania“ Drogen und Geld durch Europa transportiert haben soll
Dann wäre da noch Tania Gomez. Von der „Bild“ einst als „schöne Tania“ betitelt, soll die 30-jährige Schwedin beachtliche kriminelle Energie an den Tag gelegt haben. Getarnt als Leiterin einer Rettungsorganisation für streunende Hunde reiste sie den Ermittlern zufolge mindestens seit März 2021 quer durch Europa. Im Gepäck immer ein Alibi-Hund, um ihre heiße Fracht zu verschleiern – Drogen und Geld, die sie als Kurier für verschiedene Verbrecherorganisationen transportiert haben soll.
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Europol sucht Renato Cinquegranella: Folter und Mord
Mit Renato Cinquegranella kann aber selbst Tania Gomez nicht mithalten. Seinem Fahndungsfoto hat Europol einen „Gefährlich“-Stempel verpasst. Aus gutem Grund: Der kleine Italiener, geboren 1949 und untergetaucht 2002, soll ein Killer der Mafia gewesen sein, ein brutaler noch dazu. Er soll 1982 ein Mitglied der rivalisierenden „Camorra“ gefoltert, getötet und in Stücke geschnitten haben. Körper, Kopf, Hände und Herz des Opfers fand die Polizei getrennt voneinander.
TIbor Foco: Fahndung per Stimmprobe
Der Österreicher Tibor Foco indes saß eigentlich schon hinter Gittern, 1987 wurde er zu lebenslanger Haft wegen des Mordes an einer Prostituierten verurteilt – und entkam bei einer Art „Bildungsfreigang“ im April 1995. Seitdem ist er auf der Flucht. Der Österreichische Geheimdienst hat mittlerweile eine Belohnung von 20.000 Euro für Hinweise zu Foco ausgesetzt. Um die Chancen zu erhöhen, liefert Europol sogar eine Schrift- und Stimmprobe des Österreichers mit.
200.000 Euro Belohnung für einen einzigen Hinweis
Wer den entscheidenden Tipp zum Aufenthaltsort des Niederländer Joseph Johannes „Jos“ Leijdekkers gibt, kann sich über eine ganze Menge mehr Geld freuen. 200.000 Euro zahlt die niederländische Polizei für den 32-Jährigen. Spitzname: „Bolle Jos“ (dicker Jos). Nicht verwunderlich, der vollschlanke Holländer gilt als Schlüsselfigur im internationalen Kokainhandel. Er soll mehrere Millionen Euro und hunderte Kilo Gold aus dem Kokainhandel gewaschen haben. Mutmaßlich gehen auch die Folter und der Mord an einer jungen Frau auf sein Kerbholz. Zuletzt habe er in der Türkei gelebt, sagt die Polizei, und warnt ganz deutlich: Wer ihn erkennt, soll ihn keinesfalls ansprechen, sondern die Behörden informieren. Etliche Fotos stellt Europol zur Verfügung, inklusive einem aktuelleren mit „Bolle Jos“ in einem Palmenhain.
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Felix Omoregie: Menschenhandel Minderjähriger
Während die meisten Gesuchten wegen Drogenschmuggels gejagt werden, hat sich der Belgier Felix Omoregie eines noch viel abstoßenderen Verbrechens schuldig gemacht. Der 45-Jährige hat als Chef eines Schmugglerrings junge, gar minderjährige Frauen aus Nigeria nach Italien gebracht. Einmal in Europa wurden die Opfer in verschiedene Länder verteilt und dort gezwungen, sich zu prostituieren.
Wie hilft Europol bei der Jagd nach Verbrechern?
Nun stehen all diese Verbrecher, und noch einige mehr, auf der Europol-Liste – und was bringt das? Zunächst mal eine Menge Unterstützung für die örtlichen Polizeibehörden, die nach den Straftätern suchen. Etwa 100 Kriminal-Analytiker beschäftigt Europol laut der EU. Die sollen mithelfen, mögliche Aufenthaltsorte und Bewegungsmuster zu erkennen, damit die Polizisten vor Ort zugreifen können.
Noch dazu werden Informationen von Flüchtigen, die Landesgrenzen überschreiten, bei Europol gesammelt und allen EU-Mitgliedsstaaten zur Verfügung gestellt. So soll die Europol-Most-Wanted-Liste möglichst schnell möglichst kurz werden – wobei Listen wie diese es so an sich haben, dass für jeden Verbrecher hinter schwedischen Gardinen gleich der nächste Übeltäter nachrückt.
Europol kann Erfolge vorweisen – aber wer bezahlt die Arbeit eigentlich?
Letztendlich finanziert sich die europäische Polizeibehörde genau wie ihre nationalen Geschwister – durch Steuern. Ermittelt durch das Bruttosozialprodukt zahlen alle EU-Mitgliedstaaten für die Europol-Arbeit, im Jahr 2022 belief sich das Budget auf 193 Millionen Euro, Europol selbst veranschlagt das Budget für 2023 auf 207 Millionen Euro. Den größten Teil davon, 102 Millionen Euro, wird die Behörde für Gehälter der Angestellten ausgeben, gefolgt von „Informationstechnologie für Operationen“ (42 Millionen Euro) und „Operationen“ (15 Millionen Euro).
Viel Geld, aber der finanzielle Aufwand lohnt sich. Immer wieder schnappen FAST-Teams, Einsatzgruppen des europäischen Netzwerks von Zielfahndungsteams, einzelne Verbrecher, dokumentiert auf der Liste von Europol. Genau so setzt die Behörde aber auch auf großangelegte Fahndungsaktionen, erst kürzlich feierte sie einen prominenten Erfolg: die Entschlüsselung des Kryptodienstes „Encrochat“, den viel Kriminelle zur Kommunikation genutzt haben. Vor wenigen Tagen zog die Behörde Bilanz, 6558 Festnahmen allein durch die Encrochat-Ermittlungen.