Bonn/Mainz. Befreit oder besiegt – wie erlebten die Deutschen das Kriegsende vor 70 Jahren? Phoenix-Experte Guido Knopp steuert persönliche Erinnerungen bei.
Der wohl meist gesehende Historiker des deutschen Fernsehens ist ein wichtiges Gesicht der Phoenix-Themenwoche zum 70. Jahrestag des Kriegsendes: Guido Knopp (67) lädt beispielsweise am Freitag, 14 Uhr, zu einer „Zeitreise“ ein. Thema: "Stunde null".
Sie gehören zu Deutschlands umtriebigsten Unruheständlern…
Guido Knopp: Das kann man so nicht sagen. Ich betätige mich ganz in Maßen. Ich habe ein paar Phoenix-Aktivitäten, die ich sehr schätze und mag. In einem Punkt haben Sie allerdings recht: Ich halte mehr Vorträge als früher.
Wie kommt’s?
Knopp: Ich kann Vorträge jetzt selbst terminieren. Früher, in ZDF-Zeiten, mussten wir für jeden Vortrag Urlaub nehmen. Wenn Sie zu viel annehmen, ist der Urlaub letztlich weg. Ich musste also viel absagen. Jetzt mache ich viel, und das ist eine schöne Art und Weise, Deutschland kennenzulernen.
Ich nehme an, Ihre Zuhörer erwarten von einem Fernsehmann wie Ihnen Wortbeiträge mit viel Bildmaterial.
Knopp: Nicht unbedingt. Es kommt zwar gelegentlich vor, aber die weitaus meisten Vorträge sind reine Verbalstücke. In diesem Jahr, beispielsweise, geht es zum 25-jährigen Jubiläum der deutschen Einheit um „die glücklichste Stunde der deutschen Geschichte“ – ein Vortrag über die Hintergründe der Vorgänge von 1989/90.
Ich unterstelle, dass selbst Ihre reinen Wortbeiträge bildhaft sind.
Knopp: Das hat man so gelernt, und das geht auch nicht mehr weg. Das ist auch richtig so.
Ist Ihr Talent, komplexe Vorgänge anschaulich dazustellen, angelsächsischen Vorbildern geschuldet?
Knopp: Indirekt: ja. In den späten 80er-Jahren lag die Interpretationshoheit über deutsche Geschichte – und zwar weltweit – bei der BBC. Die Serien über Zeitgeschichte, die international liefen, stammten von dem britischen Sender. Und ich habe gesagt: Das geht nicht. Die Interpretationsherrschaft über deutsche Geschichte muss aus Deutschland kommen, der schlimmen wie der besseren Zeiten.
Was erwartet die Zuschauer bei der Phoenix-Themenwoche?
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Knopp: Ich kann zumindest verraten, was sie bei den von mir moderierten Stücken sehen. In meiner Reihe "History live" führe ich eine Diskussion zur "Stunde null". Daran nehmen teil: Erika Steinbach auf der einen und Luc Jochimsen auf der anderen Seite, als Historiker in der Mitten kommt Professor Görtemaker aus Potsdam.
Dabei geht es um Befreiung – ja oder nein? Auch aktuelle Fragen werden angesprochen: der NS-Prozess gegen Oskar Gröning oder auch die griechischen Reparationsforderungen. Und bei der „Zeitreise“, ein ganz anderen Format, hat mich fasziniert, dass ich selber gehen konnte zu den Stätten rund um Berlin, die am Kriegsende eine Rolle gespielt haben.
Was haben Sie entdeckt?
Knopp: Da warten Überraschungen auf einen. Ich bin hinabgestiegen in eine der größten Bunkeranlagen, direkt unter dem Alexanderplatz…
…diese Anlage ist nicht zugänglich…
Knopp: …und waren die letzten, die da rein durften. Demnächst wird da das Fundament geschlagen für ein Hochhaus von Frank Gehry. Der Bunker war für 5000 Leute ausgelegt. Aber am Kriegsende drängten sich dort 30.000 Menschen. Ein Zeitzeuge, der als Kind dabei war, hat uns seine Erlebnisse geschildert.
Es gibt immer weniger Zeitzeugen.
Knopp: Deshalb war für mich ein zweiter Tatort besonders interessant: die Seelower Höhen, östlich von Berlin. Dort fand die letzte Abwehrschlacht gegen die Rote Armee statt, im April 1945. Östlich von Berlin fand sich ein Waldlager der Roten Armee. Dort finden gerade Ausgrabungen statt.
Was man da alles findet! Alte Wehrmachtskoppeln, beispielsweise, bei denen das Hakenkreuz durch einen Stern überstanzt worden ist. Die Rote Armee hatte eigene Stanzen für solche Fälle. Der Zweite Weltkrieg ist also inzwischen ein Feld für die Archäologie geworden – jetzt wo es immer weniger Zeitzeugen gibt.
Wie haben Ihre Eltern das Kriegsende erlebt?
Knopp: Ganz unterschiedlich. Meine Mutter war damals 20 und lebte in Neustadt bei Marburg. Sie hat Anfang April den Einmarsch der Amerikaner erlebt. Das ging vergleichsweise friedlich ab, weil die Stadt kampflos übergeben wurde. Und ich weiß aus Familien-Erzählungen, dass Amerikaner im Haus gelebt haben. Für meine Großeltern und meine Mutter hieß das, dass sie für ein paar Wochen in die Waschküche mussten.
Und Ihr Vater?
Knopp: Er ist in Oberschlesien aufgewachsen. Er wurde mit 19, 1942, zum Afrika-Corps einberufen. Er hatte vergleichsweise Glück. Im Mai 1943 ist er in Tunesien erst in englische, dann in amerikanische Gefangenschaft gekommen. Er kam nach Amerika und verbrachte seine Gefangenschaft an so schrecklichen Orten wie Florida, Texas und Kalifornien. Bei Kriegsende war er in einem Camp nördlich von San Francisco.
Mein Vater erzählte, dass die Verpflegung nach dem 8. Mai schlechter wurde, einerseits sicher bedingt durch die Bilder aus den Konzentrationslagern, andererseits bedingt durch die Tatsache, dass die Amerikaner nach Kriegsende keine Rücksicht auf mehr Landsleute nehmen mussten, die in deutscher Gefangenschaft waren.
Mit welchen Gefühlen haben Ihre Eltern das Kriegsende erlebt?
Knopp: Bei einem Kriegsgefangenen wie meinem Vater kann man sicher nicht davon sprechen, dass er das Kriegsende als Befreiung erlebte. Ich vermute, dass es meinen Eltern so ging wie 90 Prozent der Kriegsgeneration.
Ihnen ging es meistens so: Wir sind nicht befreit, wir sind besiegt. Vergessen wir nicht, dass Anfang 1945 in Deutschland der Begriff „Zusammenbruch“ gebräuchlich war. Auch die Alliierten wollten die Deutschen zunächst mal nicht befreien, sondern besiegen und, wenn nötig, auch bestrafen.
Dass es trotzdem eine Befreiung war, nicht nur für die Opfer und Gegner des Regimes, sondern auch für die Mitläufer – das hat sich erst im Lauf der Jahre herausgestellt. Weizsäcker hat es ja 1985 auf den Punkt gebracht: Es war eine Befreiung, obwohl das Kriegsende damals objektiv nicht so gemeint war.
"Stunde Null. Auf Zeitrause mit Guido Knopp"
Freitag, 1. Mai, Phoenix, 14 Uhr
"Der 8. Mai 1945 - Deutschlands Stunde Null?"
Sonntag, 3. Mai, Phoenix, 13 Uhr
Anlässlich des 70. Jahrestages befasst sich phoenix in einem multimedialen Schwerpunkt eine Woche lang, vom 1. bis zum 8. Mai, insgesamt 26 Stunden lang, mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und den Folgen.