Istanbul.. Am Dienstag wird in Istanbul der erste Eisenbahntunnel unter dem Bosporus eingeweiht. Er dient nicht nur dem Personen-Nahverkehr zwischen dem europäischen und dem asiatischen Teil der Mega-Stadt, sondern ist Teil einer neuen Eisenbahnverbindung für den Güterverkehr zwischen Westeuropa und dem Fernen Osten. Das Marmaray-Projekt.

Schon Abdülmecid II., der letzte Kalif des osmanischen Reiches, träumte Ende des 19. Jahrhunderts von dem Projekt. Jetzt ist es soweit: Am Dienstag wird in Istanbul der erste Eisenbahntunnel unter dem Bosporus eingeweiht.

Er dient nicht nur dem Personen-Nahverkehr zwischen dem europäischen und dem asiatischen Teil der Mega-Stadt, sondern ist Teil einer neuen Eisenbahnverbindung für den Güterverkehr zwischen Westeuropa und dem Fernen Osten. Das Projekt heißt Marmaray – ein Kunstwort, das sich vom Marmarameer und ray ableitet, dem türkischen Wort für Schiene.

Erdogan kommt zur Eröffnung

Staatspräsident Abdullah Gül, Regierungschef Tayyip Erdogan und fast das ganze Kabinett werden zur feierlichen Eröffnung des Tunnels am 90. Jahrestag der Gründung der türkischen Republik erwartet. Aus Tokyo wird Japans Ministerpräsident Shinzo Abe anreisen – der Tunnel wurde von einem türkisch-japanischen Firmenkonsortium gebaut. Auch Regierungsvertreter vieler Nachbarländer werden zur Eröffnung kommen. Das zeigt: Der neue interkontinentale Tunnel hat Bedeutung weit über Istanbul hinaus.

Erste Pläne für einen Tunnel unter der Meerenge gab es bereits 1891. Damals beauftragte Abdülmecid II. französische, britische und amerikanische Ingenieure mit Studien. Doch der Kalif kapitulierte vor den technischen Herausforderungen und den immensen Kosten des Projekts. Erst Anfang der 1990er-Jahre kam das Vorhaben wieder auf die Tagesordnung. Im Mai 2004 legte Ministerpräsident Erdogan den Grundstein.

Technisch anspruchsvoll und teuer ist das Projekt auch heute noch. Der Tunnel wurde aus versenkbaren, an Land vorgefertigten Elementen gebaut. Die eigentliche Bosporus-Unterquerung ist 1,4 Kilometer lang. Sie gehört zu einem Tunnelsystem von insgesamt 13,6 Kilometern Länge mit drei unterirdischen Bahnhöfen. Umgerechnet 3,3 Milliarden Euro wird das Projekt im Endausbau kosten.

Zu den besonderen Herausforderungen gehörte es, die Doppelröhre, die 56 Meter unter der Meeresoberfläche liegt, so zu konstruieren, dass sie schweren Erdbeben widerstehen kann. Denn ganz in der Nähe verläuft unter dem Marmarameer eine aktive Bruchzone. Der Tunnel soll Beben bis zur Stärke 9 standhalten und werde „der sicherste Platz in Istanbul“ sein, versichert Verkehrsminister Binali Yildirim.

Marmaray verbindet die S-Bahn-Systeme beiderseits des Bosporus miteinander. Die Kapazität des Tunnels liegt bei 1,5 Millionen Fahrgästen pro Tag. Dauert bisher die Fahrt auf einer der Bosporusfähren mindestens 20 Minuten, kommt man künftig in vier Minuten von einem Ufer zum anderen.

Noch entfallen nur knapp vier Prozent des Personenverkehrs in der 15-Millionen-Stadt Istanbul auf die Schiene. Künftig sollen es fast 30 Prozent sein. Erstmals wird es nun auch eine direkte Schienenverbindung vom europäischen Teil der Türkei nach Anatolien geben. Dank neuer Hochgeschwindigkeitstrassen wird die Zugfahrt von Istanbul nach Ankara nur noch drei statt sechs Stunden dauern.

Mit der Bahn von London nach China

Marmaray ist aber auch die erste direkte normalspurige Schienenverbindung zwischen Europa und Asien. Damit gibt es nun eine durchgehende Bahnverbindung von London bis nach China. Auch der historische Orient-Express, der bisher im Bahnhof Sirkeci auf der europäischen Seite endet, könnte künftig wirklich in den Orient fahren.

Wichtig ist die neue Transportachse aber vor allem für den interkontinentalen Güterverkehr. Die aufstrebenden Länder Mittelasiens rücken damit näher an Europa heran. Die dank Marmaray möglich gewordene Bahnverbindung folgt der Route, die einst die Karawanen nahmen – eine neue Seidenstraße.