Washington.. Reiche lügen und betrügen eher als sozial tiefer Gestellte. Das ist das Ergebnis einer amerikanischen Studie von Sozialwissenschaftlern. Warum das so ist, liegt möglicherweise an der unterschiedlichen Haltung zum Gierigsein.
Reiche lügen und betrügen häufiger als Menschen mit niedrigerem sozialem Rang. Außerdem nehmen sie anderen im Straßenverkehr öfter die Vorfahrt. Das ist das Ergebnis von sieben Experimenten, die US-amerikanische Forscher in den „Proceedings of the National Academy of Sciences“ vorstellen.
Wahrscheinlich verhielten sich Angehörige höherer sozialer Schichten deshalb unmoralischer, weil Gier in diesem Teil der Gesellschaft in einem positiveren Licht gesehen werde, spekulieren die Psychologen. Aber, ergänzen sie, „wahrscheinlich gibt es auch Ausnahmen von den Trends“.
Wie die Forscher beobachteten, verhielten sich Menschen mit offensichtlich teureren Autos im Straßenverkehr unfairer: In San Francisco nahmen sie an einer Kreuzung häufiger die Vorfahrt und bremsten weniger oft für Fußgänger, die an einem Zebrastreifen warteten.
Betrug beim Spiel und im Büro
Auch in anderen, in der Studie gezielt herbeigeführten Situationen verhielten sich diejenigen weniger anständig, die nach eigener Einschätzung einer höheren sozialen Schicht angehörten. Nach Angaben von Paul Piff von der University of California in Berkeley und seinen Kollegen betrogen diese Probanden bei einem Spiel, bei dem sie Geld gewinnen konnten, häufiger. Sie gaben in Befragungen auch an, einen Bewerber bei einem Vorstellungsgespräch eher anzulügen, wenn dieser sich erkundigte, wie sicher die Stelle sei.
Ihren eigenen Angaben nach würden sozial Höhergestellte in einer hypothetischen Situation eher Kopierpapier aus dem Büro mitnehmen, illegal Software kopieren oder ein Konkurrenzunternehmen ausspionieren. Sie tendierten auch dazu, Wechselgeld, das sie zu viel erhalten haben, einzubehalten. Wenn die Forscher den Probanden Bonbons anboten, die ausdrücklich für Kinder im Nachbarlabor bestimmt waren, griffen die Reichen zudem häufiger zu als Probanden der unteren Klassen.
Gier als Schlüssel zur Unmoral
Auf den ersten Blick möge das verwundern, schreiben die Forscher, da untere Schichten es eigentlich nötiger hätten, zu schummeln und sich einen Vorteil zu verschaffen. Aber nicht der höhere soziale Rang per se sei verantwortlich für das unmoralischere Verhalten, sondern die Einstellung der Probanden zum Gierigsein: Angehörige höherer Schichten sahen diese Charaktereigenschaft als weniger negativ an als niedrigere. „Wirtschaftliche Ausbildung mit seinem Fokus auf die Maximierung von Selbstinteressen mag Menschen dazu bringen, Gier als positiv und förderlich zu sehen“, spekulieren die Wissenschaftler über den Grund dieser Sichtweise.
Aber auch sozial niedriger Gestellte ließen sich zu unmoralischem Handeln verführen: In einem Experiment forderten die Forscher die Probanden dazu auf, zunächst drei Vorteile von Gier aufzulisten. Damit sollte die ursprüngliche Einstellung der Teilnehmer zu diesem Wesenszug manipuliert und ins Positive verschoben werden. Tatsächlich verhielten sich die Probanden anschließend deutlich unfairer und eigennütziger als in den vorhergehenden Durchgängen. „Das lässt vermuten, dass Individuen höherer und niedrigerer Schichten sich nicht unbedingt in ihrer Fähigkeit unterscheiden, sich unethisch zu benehmen, sondern vielmehr in ihrer Tendenz, dies auch zu tun“, heißt es in der Studie.
Aber es gebe natürlich auch Ausnahmen, bei denen sich Menschen der höheren Klasse sehr ethisch verhalten und „dem großen Guten nützen“, schreiben die Forscher. Als Beispiel nennen sie den Microsoft-Gründer Bill Gates, dessen Privatstiftung etwa die Forschung nach Impfstoffen vorantreibt und AIDS-Kranke behandelt, sowie die ehemaligen Vizepräsidenten der Unternehmen Worldcom und Enron, Cynthia Cooper und Sherron Watkins. Beide hatten als „Whistleblower“ Betrug und Fehlverhalten im eigenen Unternehmen an die Öffentlichkeit gebracht. Die Schlussfolgerung der Forscher lautet daher: „Soziale Klasse und Unethik sind weder grundsätzlich noch notwendigerweise miteinander gekoppelt.“ (dapd)