Essen. Forscher fanden im Abwasser niederländischer Städte mehr Rückstände vom Viagra-Wirkstoff Sildenafil, als eigentlich auf dem Markt sein dürfte. Obwohl sich die NRW-Labore nicht nur über Voltaren ärgern, ist die Qualität unseres Wassers besser als ihr Ruf. Doch wie viel Viagra steckt im Revierwasser?

Niederländische Fosrscher erlebten im Juli im wahrsten Sinne ihr blaues Wunder. Sie suchten im Abwasser dreier Städte erstmals nach Rückständen des Medikaments Sildenafil – besser bekannt unter dem Markennamen Viagra – und stießen bei ihren Messungen auf erstaunliche Ergebnisse.

Laut den Berechnungen von Bastiaan Venhuis vom Nationalen Institut für öffentliche Gesundheit und Umwelt befanden sich im Abwasser von Amsterdam, Utrecht und Eindhoven rund 60 Prozent mehr Sildenafil (eigentlich ein gefäßerweiterndes Medikament u.a. gegen Lungenhochdruck) als laut ärztlichen Verschreibungen eigentlich im Umlauf hätte sein dürfen.

Die Forscher konnten durch diese Angaben Rückschlüsse ziehen, wie groß der boomende Viagra-Schwarzmarkt in den Niederlanden derzeit wirklich sein muss. Für ein Kilogramm des Potenzmittels bekommt man heutzutage mehr Geld (bis zu 90.000 Euro) als für ein Kilo Kokain (rund 60.000 Euro).

NRW-Labore tappen bei Sidenafil im Dunkeln

Arzneimittel-Rückstände im Abwasser sind keine Neuheit, variieren jedoch regional. Die Ruhr machte zuletzt vor allem Schlagzeilen durch Reste des Schmerzgels Voltaren. Das Mittel ist den NRW-Laboren ein Dorn im Auge, da selbst beim späteren Duschen noch relativ große Mengen in die Kanalisation gelangen.

Generell ist das Revier-Wasser jedoch besser als sein Ruf, das Trinkwasser hat eine gute Qualität. Gerade wegen der vielen Industrie wird besonders häufig und auf besonders viele Mittel kontrolliert, bestätigt ein Labor-Mitarbeiter der Rheinisch-Westfälischen Wasserwerksgesellschaften (RWW). „Viele Chemikalien wandern ins Wasser. Doch wir sehen uns gut gerüstet, die Stoffe und Medikamenten-Reste weitgehend zu eliminieren.“

Wie viel Viagra sich in unserem Wasser an Rhein und Ruhr befindet? Eine entsprechende Anfrage unserer Mediengruppe konnte kein örtliches Labor beantworten. In den Augen der zuständigen Zentralen gibt es „keine Hinweise, dass Sildenafil eine Rolle spielt“.

Die Experten konnten lediglich Schätzungen abgeben – regionale Untersuchungen zum Viagra-Wirkstoff wurden bis dato nicht durchgeführt, bestätigte der Ruhrverband. Die Methoden im Umgang mit Sildenafil seien noch nicht ausgereift, heißt es.

Werte im Nanogramm-Bereich unbedenklich für den Menschen

Die Labore schätzen den Sildenafil-Gehalt im Ruhrgebiets-Abwasser – basierend auf Erfahrungswerte mit anderen Medikamenten - im niedrigen zweistelligen Nanogramm-Bereich ein. Erst bei einem Schwellenwert ab 100 Nanogramm würden sich die NRW-Zentralen näher mit einem Wirkstoff beschäftigen, teilen sie mit.

Obwohl an Rhein und Ruhr noch überhaupt keine Messungen durchgeführt wurden, könnten die NRW-Labore mit ihren Schätzungen nah dran an den reellen Werten liegen. In den niederländischen Abwässern befanden sich die Sildenafil-Rückstände jedenfalls im Nanogramm-Bereich, konkretisiert Bastiaan Venhuis im Gespräch mit unserer Redaktion.

„Die Werte in den Niederlanden variieren je nach Tag, aber die von uns gemessenen Werte sind für den Menschen absolut unbedenklich. Über Folgen für die Umwelt kann ich leider keine Aussage treffen. Generell denke ich aber, dass in Zukunft die Werte sogar wieder etwas sinken dürften, da unsere Messungen vor allem illegale Anwendungen des Medikaments offengelegt haben, die möglicherweise bald eingedämmt werden.“

Kontrastmittel-Rückstände der Krankenhäuser

Aktuell beschäftigen die NRW-Labore andere Probleme als Sidenafil. Schon vor der baldigen Veröffentlichung des neuen Güteberichts des Ruhrverbandes über die Qualität des Revierwassers klagten mehrere Forschungslabore im Gespräch mit unserer Redaktion über jodhaltiges Kontrastmittel im Abwasser, das vor allem bei Röntgen-Untersuchungen eingesetzt wird.

Die Kontrastmittel, die unter die so genannten Diagnostika fallen, haben die Eigenschaft, persistent zu sein - also schwer abbaubar. „Für uns ist es sehr, sehr schwer diese Rückstände herauszukriegen”, beklagt ein RWW-Labormitarbeiter. „Für den Menschen sind diese Mengen nicht gefährlich, aber dennoch ist das störend. Denn unser Anspruch ist es, absolut reines Trinkwasser anzubieten.“

Für die Einwohner NRWs sind die geringen Rückstände unbedenklich, bei Kleinsttieren im Wasser sehen die Verhältnisse jedoch anders aus. Aufgrund der nachgewiesenen Negativ-Effekte auf die Umwelt beispielsweise für Fische, Krebse, Muscheln und Schnecken würden viele Forscher generell über die Zulassung so mancher Mittel noch einmal neu diskutieren wollen. Doch so lange Patienten von der Medizin profitieren, sind solche Debatten schwierig, wissen sie.

Viele Probleme wegen Kontrastmittel im Wasser könnten sich alleine schon lösen, wenn so genannte „Hotspots“ wie Krankenhäuser gesetzlich dazu verpflichtet wären, ihr Abwasser beispielsweise vorfiltern zu lassen, statt es allgemein in die Kanalisation zu geben.

Mehr Therapien, mehr Medikamente – Forscher sehen in der Überalterung der Gesellschaft Gefahren auf die Umwelt zukommen. Welche Effekte der Viagra-Wirkstoff Sildenafil auf die Natur in und an der Ruhr hat, muss erst noch ausführlich erforscht werden. Wohlmöglich hat der Zoll ja bald ein größeres Interesse daran, Sildenafil im Revier genauer bestimmen zu lassen und so mehr über die Ausmaße des hiesigen Viagra-Schwarzmarkts zu erfahren.