Berlin. Eine US-Studie suggeriert einen Zusammenhang zwischen Essstörungen und Social Media. Eine zentrale Antwort bleibt sie schuldig.
Der spielerische Weg in die Magersucht führt unter anderem über den Hashtag #CollarboneChallenge, den Schlüsselbein-Wettbewerb. Mädchen und junge Frauen reihen dabei Münzen nebeneinander auf ihrem hervortretenden Schlüsselbein auf, posten Bilder davon bei Facebook oder Instagram – und kassieren dafür Anerkennung. Eine andere Variante: #ThighGap, den Schenkel-Spalt. Die Botschaft des Hashtags: Eine möglichst große Lücke zwischen den Oberschenkeln ist das neue Schönheitsideal. Oder auch der Hashtag #DINA4, der aus China kommt. Mit Hilfe eines DIN A4 Blattes, das vor die Taille gehalten wird, soll ein Fotobeweis zeigen: Meine Taille ist schlanker als die schmale Seite des Blattes. Zum Hintergrund: Die kurze Seite misst gerade mal 21 Zentimeter.
Das sind die Extrembeispiele. Soziale Medien verschieben die Selbstwahrnehmung des eigenen Körpers aber auch weniger radikal. Das zumindest legt eine repräsentative Studie der Universität Pittsburgh nahe. „Es scheint so zu sein, dass junge Erwachsene, die häufig Social Media nutzen, durch die Bilder und Nachrichten eher eine Essstörung entwickeln“, sagt Brian Primack, einer der Autoren.
Die Autoren der Studie legen nahe, dass in den sozialen Medien vor allem zwei Faktoren eine Essstörung befördern. „Soziale Medien kombinieren viele Aspekte der traditionellen Formen der Medien (Fashion Magazine, TV-Shows) mit den Möglichkeiten der Interaktion und Verbreitung von Stereotypen“, sagt einer der Autoren.
Anreiz, ein Teil der Gemeinschaft zu sein
Die Forscher sehen darin eine besondere Gefahr. Einerseits transportierten die Netzwerke ein teilweise fragwürdiges Schönheitsideal, ähnlich wie Model-Shows im Fernsehen oder Mode-Zeitschriften. Andererseits schaffen sie Nutzern mit einem ohnehin bereits verschobenen Körperbild einen Raum, um sich mit Gleichgesinnten auszutauschen. „Die Unterstützung durch andere Nutzer kann einer Heilung der Erkrankung im Weg stehen, weil sie einen Anreiz dazu liefert, ein Teil dieser Gemeinschaft zu sein“, sagt Autor Brian Primack.
Die Studie liefert keine Antwort auf die Frage nach Ursache und Wirkung: Ob also der Gebrauch von Facebook und Instagram tatsächlich die Magersucht begünstigt, oder ob bereits Erkrankte schlichtweg intensiver in den Netzwerken aktiv sind. „Dafür müssen wir die Studienteilnehmer für längere Zeit begleiten“, so ein Autor.
Zahl der Magersüchtigen in Deutschland gestiegen
Andere Untersuchungen führten zu ähnlichen Ergebnissen. Allerdings haben Forscher bislang nicht so viele junge Menschen zu dem Thema befragt. Im Jahr 2013 führte die American University in Washington mit 103 Teilnehmern eine Befragung durch, an der sich ausschließlich Mädchen beteiligten. Das Ergebnis: Wer viele Fotos auf Facebook postet oder kommentiert, ist eher unzufrieden mit der eigenen Figur.
In Deutschland steigt indes die Zahl der Magersüchtigen. Zwischen den Jahren 2000 und 2012 sind die diagnostizierten Fälle von 5363 auf 6995 gestiegen. Nach der repräsentativen Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland leiden 1,5 Prozent der Frauen und 0,5 Prozent der Männer unter einer der drei Essstörungen wie Magersucht, Bulimie und Binge-Eating (der Unterschied zur Bulimie besteht darin, dass die Essattacken nicht durch extremen Sport oder Hungern kompensiert werden).
Die US-Forscher der aktuellen Studie nehmen die großen Unternehmen wie Facebook oder Twitter in die Pflicht. Facebook hat beispielsweise reagiert, indem es bereits vor mehr als einem Jahr den Status „Feeling fat“ aus seinen Einstellungen entfernte. „Instagram hat die Hashtags #ThinInspiration und #ThinSpo inzwischen blockiert. Aber die Nutzer umgehen diese Barrieren“, heißt es in der Studie. Die #CollarboneChallenge jedenfalls steht nicht auf dem Instagram-Index.