London.. In Großbritannien galt das Grauhörnchen lange als Feind des roten Eichhörnchens – und war dem Tode geweiht. Landbesitzer waren verpflichtet, jedes gesichtete Grauhörnchen zu melden, damit es gejagt werden konnte. Ein neues Gesetz soll das possierliche Tierchen vor dem Untergang retten.
Der Kampf ist vorbei. Die Kapitulation ist komplett. Die britische Regierung will ein Gesetz zurücknehmen, das bisher jeden Landbesitzer verpflichtete, die Sichtung von Grauhörnchen zur Anzeige zu bringen, damit diese bejagt werden können. Der Generalstaatsanwalt Oliver Heald erklärte gegenüber dem zuständigen Ausschuss des Unterhauses, dass „eine Ausmerzung von Grauhörnchen nicht mehr für machbar gehalten wird“ und daher das betreffende Gesetz aus dem Jahre 1937 abgeschafft werden soll.
Damit hat die britische Regierung die vollständige Niederlage in einem Krieg eingeräumt, der bis ins 19. Jahrhundert zurückreicht. Seit 140 Jahren, als erstmals das Grauhörnchen (Sciurus Carolinensis) vom nordamerikanischen Kontinent ins britische Königreich eingeführt wurde, hat es dem einheimischen roten Eichhörnchen (Sciurus vulgaris) das Leben schwer gemacht.
Die Briten haben das Grauhörnchen geschossen, vergiftet, eingefangen und aufgegessen, aber geholfen hat es nichts. Die Invasion des grauen Eindringlings aus USA hätte vollständiger kaum sein können: Es kolonisiert mittlerweile fast ganz England und Wales, und vertreibt überall, wo es seine Pfoten hinsetzt, die einheimischen Hörnchen. In ganz England soll es gerade noch 15000 rote Eichkatzen geben. Ein paar mehr gibt es in Schottland, wohin sich die grauen noch nicht vorgearbeitet haben.
NaturHinter der putzigen Fassade steckt ein Umweltvandale
Zugeben, es sieht nett aus, das Grauhörnchen. Aber hinter der possierlichen Fassade steckt ein Umweltvandale, der zudem nicht vor dem Einsatz einer biologischen Massenvernichtungswaffe zurückschreckt, um seine Konkurrenten zu bekämpfen. Die Dominanz des Eindringlings rührt nicht nur daher, dass der amerikanische Vetter kräftiger gebaut ist und im Nahrungskampf dem einheimischen Nager das Futter stiehlt. Ein weit infamere Waffe setzt das Grauhönchen ein: Es ist Träger des Parapoxi-Virus, das ihm selbst nichts schadet, aber für die roten Eichkätzchen tödlich ist.
Darüber hinaus ist Sciurus carolinensis ein ausgewachsener Umweltvandale. Die „Initiative für die europäischen Eichhörnchen“ (ESI), eine britische Pressure-Group, die sich die Vernichtung des Grauhönchens zum Ziel gesetzt hat, listet seine Verbrechen auf: Es verursache irreparablen Schaden an Laub- und Nadelbäumen, stehle Eier aus Vogelnestern, halte sich sogar an Jungvögeln schadlos, richte Schaden in Obstgärten an, würde elektrische Kabel zernagen und - Europa, erwache! - drohe, bald auch in die „ großen Wälder von Norditalien, Frankreich und der Schweiz“ einzufallen.
NestManchmal steht es auf der Speisekarte
Kein Wunder also, dass das Grauhörnchen nicht viele Sympathien im Königreich genießt. Es gibt Organisationen, die sich seine Bejagung auf die Fahnen geschrieben haben. Im Internet findet sich eine Tod-dem-Grauhörnchen-Seite, wo detailliert Methoden beschrieben werden, wie man ihm den Garaus machen kann. Rezeptbücher für Grauhörnchen werden veröffentlicht, und Restaurants setzen es gerne zwecks Eigenwerbung auf die Speisekarte.
Die Gazetten berichten regelmäßig über den verzweifelten Überlebenskampf der putzigen roten Eichkätzchen gegen die schätzungsweise 2,8 Millionen Grauhörnchen. Einen letzten Hoffnungsschimmer gibt es: Manche roten Eichhörnchen haben mittlerweile eine Immunität gegenüber dem Parapoxi-Virus entwickelt.