Essen. Wenn Leidenschaft Menschen den Verstand raubt, kann das in blutigem Sadismus enden. Der “Polizeiruf 110“ am Sonntagabend in der ARD ist diesmal sehr düster: Charly Hübner als Kommissar Bukow und Anneke Kim Sarnau als Katrin König ermitteln in der Sadomaso-Swingerszene.
Das kommt einem schwedisch vor: Ein nasser, schmuddeliger Keller, ein stöhnender, blutender Mann in Unterwäsche mit eisernem Maulkorb, gefesselt an einen Stuhl – solche albtraumhaften Abgründe gleich zu Beginn eines Krimis, das muten uns die Skandinavier ganz gerne zu. Dieser Folterkeller, der auch als Schauplatz für einen amerikanischen Horrorfilm der extrabrutalen Sorte taugen könnte wie „Saw“, steht allerdings in Rostock, und wir befinden uns beim urdeutschen „Polizeiruf 110“. In der aktuellen Folge „Liebeswahn“ (Sonntag, ARD, 20.15 Uhr) lässt Regisseur und Drehbuchautor Thomas Stiller von der ersten Szene an keinen Zweifel aufkommen, dass auch deutsche Krimis durchaus zur Sache gehen.
Härte freilich allein ist kein Merkmal, mit dem man den Viertelnachacht-Gucker am Sonntagabend im öffentlich-rechtlichen Fernsehen bei Laune halten könnte; und nach dem happigen Einstieg erwartet ihn denn auch aufregende Krimikost. Dabei haftet dem Fall durchaus Monströses an, denn er führt die Polizei ja in die Sadomaso-Swingerszene, deren Mitglieder allerdings auf den ersten Blick so bürgerlich daherkommen wie die Frau (Sandra Borgmann) des Mordopfers.
Unappetitliches im Keller des Todes
Stiller aber ist klug genug, vermeintlichen Reizen, diese Szene spekulativ auszuleuchten, gar nicht erst nachzugeben; plumpe Effekte sind sein Ding nicht. Er dreht die Geschichte um Liebeswahn, um unterbewusste Ängste und Psychosen und um Rachefantasien Verschmähter stattdessen ins Private.
Denn der Schrecken wirkt ja immer stärker, wenn er sich unter denen ausbreitet, die wir normal finden und die sich auch dafür halten: Der dicke Bukow (Charly Hübner), Rostocks wuchtig-kumpeliger Kommissar, Familienvater und nicht unbedingt der Typ, bei dem Frauen vor Verzückung in die Knie gehen, findet plötzlich Dutzende Rosen verstreut vor der Haustür seines Eigenheims – der Beginn eines Horrortrips, bei dem auch seine coole Kollegin König (Anneke Kim Sarnau) schwer leiden muss.
Zugegeben, der Ausstieg aus dieser Schreckensgeschichte hat etwas von den oben zitierten Streifen amerikanischer Herkunft und überheizt in der Dramatik gewiss, selbst wenn Stiller die Grenzen zum Reich des Unappetitlichen für diese Uhrzeit streng genug zieht. Auch weiß man relativ bald, wer im Keller des Todes Regie führt.
Die enttäuschte Ehefrau schläft mit dem Kollegen
Beeindruckender ist aber viel mehr, mit welcher Eleganz Stiller Bukows Familienleben in den Thriller einarbeitet; dass seine enttäuschte Frau (Fanny Staffa) mit seinem jungen Polizistenkollegen (Josef Heynert) schläft, wissen Polizeiruf-Experten ja bereits. Mit wenigen Bildern und dem Blick in desillusionierte Gesichter skizziert Stiller das Ende einer Ehe. Hübner, der retten will, was nicht zu retten scheint, spielt das zum Steinerweichen gut, auch wenn er beim plötzlichen Entflammen für eine Ärztin (Alma Leiberg) ein bisschen zu pennälerhaft auftritt.
Man findet in der Tat ein paar andere kleinere dramaturgische Schwächen in diesem Thriller, der sich damit um Bestnoten bringt. Aber das lässt sich in diesem Fall verschmerzen.