Neu Delhi.. Indien hat den Welt-Yoga-Tag erfunden. Am Sonntag machten Menschen in 192 Ländern mit. Allerdings transportiert die Aktion auch eine politische Botschaft.

Das spektakuläre India Gate verschwindet im Dunst der Hauptstadt Delhi, als alle indischen Fernsehsender auf Live-Sendung zum Paradegelände Rajpath schalten. Dort redet Premierminister Narendra Modi, als ob er eine neue Ära der Menschheit einläuten würde. „Bei Yoga geht es nicht nur um körperliche Gesundheit“, verkündet der Hindunationalist an dem von ihm angeregten „Welt-Yoga-Tag“ am Sonntag. „Wir trainieren den menschlichen Verstand für den Beginn einer neuen Ära des Friedens.“

Ausgerechnet der Chef der kräftig aufrüstenden Atommacht Indien gab den Friedensapostel und Welt-Yoga-Guru. Modi legte die Brille ab, zog seine Sandalen aus und hockte sich umgeben von zwei Reihen bildhübscher und topfiter Polizistinnen in Sportklamotten im Lotussitz auf eine Yoga-Matte. Kaum ein anderer Regierungschef dieser Welt – mit Ausnahme des Russen Vladimir Putin – würde es wohl wagen, sich in der Öffentlichkeit sehen zu lassen, während er sich beim Atmen abwechselnd die Nasenlöcher zuhält.

Kadetten in Kalkutta bei ihren Yoga-Übungen. (Foto: Piyal Adhikary/dpa)
Kadetten in Kalkutta bei ihren Yoga-Übungen. (Foto: Piyal Adhikary/dpa) © dpa | dpa

Mindestens 35 000 Menschen waren an diesem Morgen einer Anordnung der Regierung gefolgt und hatten sich zur Morgenübung auf dem riesigen, von britischen Kolonialherren errichteten Gelände versammelt. In ganz Indien folgten Schulkinder, Gefängnisinsassen und Kadetten den Übungen. Sogar auf dem höchsten Schlachtfeld der Welt, dem 76 Kilometer langen Siachen Gletscher in Kaschmir, in mehr als 5000 Meter Höhe, legten indische Soldaten wie 900 000 ih­rer Kollegen eine Yoga-Pause ein.

Ein 80-Milliarden-Dollar-Geschäft

Während sich Minderheiten in Indien seit der Machtübernahme durch die Hindunationalisten über schrumpfenden Respekt beklagen und das Verhältnis der Atommächte Indien und Pakistan wieder mal auf neue Tiefen gesunken ist, nutzt Modi Yoga für sein globales Image. Auch darum hatte Indiens Außenministerium in 192 Ländern Aktivitäten zum Welt-Yoga-Tag vorbereitet, sogar die Stewardessen der indischen Fluggesellschaft „Spice Jet“ motivierten ihre Passagiere, in mehr als 10 000 Meter Höhe Atemübungen, Kopfwackler und einfache Handbewegungen zu machen.

Die Yoga-Anhänger in Australien waren die ersten, die die Sonne begrüßten. In New York sollten 30 000 Yoga-Liebhaber zum Times Square strömen. Im Hauptquartier der Vereinten Nationen wollte Indiens Außenministerin Sushma Swaraj UN-Generalsekretär Ban Ki-moon treffen. Dieser hatte bei seinem jüngsten Indienbesuch schon einmal die Baumpose eingenommen. „Ich brauchte einen Moment, um mein Gleichgewicht zu finden, aber als ich es hatte, schätze ich die einfache Zufriedenheit, die Yoga bringen kann“, erklärte er.

Yoga-Anhänger breiteten ihre Matten auch direkt unter dem Eiffelturm in Paris aus. Andere vollführten ihre Übungen auf einem der Touristenboote auf der Seine, während sie unter wolkenverhangenem Himmel an der Kathedrale von Notre-Dame vorbeifuhren. Zu einer Großveranstal-tung im Parc de la Villette kamen sogar mehrere Tausend Yoga-Freunde.

In der bulgarischen Hauptstadt Sofia lud unter anderem der Nationale Kulturpalast zum Praktizieren. Yoga hat in dem Balkanland eine lange Tradition, die bis 1919 zurückreicht. Yoga-Clubs hatte es auch während des Kommunismus gegeben – in Bulgarien wurde Yoga erstmals im damaligen Ostblock offiziell als Sportart anerkannt.

In Rom trafen Yoga und Kunst aufeinander. Die Yogis praktizieren im Museum für Zeitgenössische Kunst. Sogar im äthiopischen Addis Abeba hatte die indische Botschaft zum Yoga-Event ins Hilton-Hotel eingeladen, in dem seit ein paar Jahren Yoga-Kurse angeboten, die allerdings fast ausschließlich von Ausländern genutzt werden. (Willi Germund/dpa)