Essen. Es war Biographiearbeit vor laufender Kamera - mit und für Alzheimer-Patient Rudi Assauer. Die fortgeschrittene Demenz hat den ehemaligen Schalke Manager bereits seiner Persönlichkeit beraubt. Ein Versuch, Erinnerungen an den Macher und Macho aufleben zu lassen.

Ob wohl Rudi Assauer am Freitagmorgen mit seiner Tochter vor dem Fernseher saß und sich die am Tage zuvor aufgezeichnete ZDF-Sendung „Volle Kanne“ angesehen hat? Sein Arzt hätte es dem Alzheimerpatienten sicherlich empfohlen, denn es hätte eine weitere Form der Biographiearbeit für Rudi Assauer bedeutet.

Die Zuschauer konnten am Bildschirm miterleben wie die Biographiearbeit als Therapiemethode bei Demenzpatienten in der Praxis funktioniert. Volle Kanne war ein Demenzcafé im Fernsehen mit Rudi Assauer als Gast. Der Demente saß am Frühstückstisch im Kreise vertrauter Personen, die ihn jahrelang begleitet, mit ihm gemeinsam Schicksalsschläge durchgestanden und die größten Erfolge gefeiert haben. Mit Bildern, Filmen aber vor allem Gesprächen über das gemeinsam Erlebte versuchten Tochter Bettina Michel, Fußballstimme Werner Hansch, Assauers langjährige Sekretärin Sabine Söldner und der spürbar nervöse Moderator Ingo Nommsen, dem Gedächtnis Assauers auf die Sprünge zu helfen.

Die Demenz hat Rudi Assauer schon vollkommen im Besitz

Hatten Sie Erfolg? Man weiß es nicht. Zuschauer und Assauers Tischnachbarn im Studio mussten feststellen, wie unmöglich es ist, zu erahnen, was im Kopf eines Demenzkranken vorgeht. Unsicher war vor allem Moderator Nommsen. Wiederholt fragte er Assauer, wie es ihm gehe. „Gut. Einfach nur gut“, antwortete dieser.

Es fiel schwer, Assauer zu glauben. Die Demenz hat den 67-Jährigen offenbar schon vollkommen im Besitz. Von dem souveränen, lautstarken Macho und Macher ist nur die Sonnenbrille und die Zigarre als äußere Hülle geblieben. Abwesend und verhalten spricht der ehemalige Schalke-Manager seine wortkargen Sätze. Seine direkte Art, frei nach Schnauze zu poltern, flammt nur gelegentlich und schwach auf. Dann, wenn Assauer sich und seiner Tochter Betty die Spitznamen "Herr und Frau Schnittenfittich" gibt. Oder als der Vater dem Kamerateam sein neues Schlafzimmer im Hause der Tochter mit „So, hier penn’ ich!“ präsentiert. "Er ist jetzt viel sensibler", sagt Tocher Bettina Michel.

Rudi Assauers Outing zur Alzheimer-Erkrankung war über ein Jahr vorbereitet

Das öffentliche Demenzcafé sowie Assauers Alzheimer-Outing waren mehr als ein Jahr vorbereitet. Werner Hansch spricht von einem "Projekt". Assauers Krankheit solle seriös dokumentiert werden. "Rudi", so Hansch, "wollte bei allem Vorreiter sein und nun will er auch Vorreiter bei der Aufklärung der Krankheit sein“, sagte der Sportmoderator - Vorreiter für rund 1,2 Millionen Demenzkranke in Deutschland; Vorreiter beim Umgang mit einer Volkskrankheit, für die noch immer kein Heilmittel gefunden ist.

Bewusst seien Assauer und sein Umfeld mit einer Medienkampagne an die Öffentlichkeit gegangen, damit das öffentliche Bewusstsein für die Krankheit Demenz einen "neuen Schub bekommt", so Hansch.

Therapiesitzung mit Jens Lehmann

Ein Jahr lang hat die Kamera Assauer mit seiner Krankheit begleitet, ihn bei einer Therapiesitzung mit Jens Lehmann gefilmt, bei Spaziergängen mit Werner Hansch in Herten, zu seinem Elternhaus und in die Arena auf Schalke. Die Arena ist Assauers Lebenswerk. Ein Lebenswerk, für dessen Eintritt er bei Schalke-Spielen zahlen muss. Seine Dauerkarte bekommt er von seinem ehemaligen Verein nicht kostenlos. Nach Darstellung des FC Schalke hat Rudi Assauer einst im Streit die ihm angebotene Ehrenkarte zurückgeschickt.

Rudi Assauer - der Macher und Macho

Assauers Blick ist ausdruckslos, als er im Studio sitzend die Filmbeiträge über sich, seine Karriere, seine Frauen und seine Pokale sieht. Ob er sich selbst noch an den Macher und Macho Assauer erinnern kann, der ihm und den Zuschauern da gezeigt wird? Man weiß es nicht.