So halten Sie die Balance: Ältere Menschen dürfen vor allem nicht in Langsamkeit verfallen, sagt der Kölner Sportwissenschaftler Ingo Froböse. Zwar gibt es keine speziellen Übungen für den Gleichgewichtssinn, bis ins hohe Alter lassen sich aber die Muskeln sehr gut trainieren.
Knallbunte Mini-Trampoline fürs Wohnzimmer. Wackelbretter für den „Zwischendurch“-Sport beim Zähneputzen. Beide Geräte machen dem guten alten Balancierbalken, der seit den 70ern auf jedem Trimm-dich-Pfad steht, Konkurrenz. Das macht fit, das trainiert das Körpergefühl und verbessert das Gleichgewicht – doch Ingo Froböse hat so seine Bedenken.
Zwar findet der Professor für „Prävention und Rehabilitation im Sport“ an der Deutschen Sporthochschule in Köln eigentlich alles gut, was Menschen in Bewegung bringt. Wer aber – ob jung oder alt – das Gefühl hat, das eigene Gleichgewicht gerate ins Wanken, dem helfen weder Sprungmatte noch Brett.
Gleichgewicht – was ist das?
Das Gleichgewicht zu halten, bedeutet, den Rumpf immer wieder in eine Linie mit den Füßen zu bringen – also den Körperschwerpunkt zu halten. Ein dynamischer Prozess: Beim Spazierengehen, Laufen oder beim Sport verlieren wir nämlich immer wieder die Balance und gewinnen sie innerhalb von Millisekunden wieder zurück.
Lässt es sich trainieren?
Jein. Einzelne Gleichgewichtsübungen gibt es so nicht. Wer sich wackelig auf den Beinen fühlt, braucht ein Trainings-Komplettpaket: sensomotorisches Training. Dabei geht es um das Zusammenspiel mehrerer Abläufe im Körper – Reizaufnahme, Reizverarbeitung und Reaktion. Trainierbar sind Beinmuskeln, die Stellung des Sprunggelenks, die Körperwahrnehmung oder auch die Reaktionsschnelligkeit.
„Man muss eben alles trainieren“, sagt Froböse. „Es hilft ja nicht, wenn ich zwar eine gut trainierte Muskulatur habe, aber beim Ausrutschen im Schnee nicht schnell genug reagieren kann.“ Mögliche Wackelursachen sind ein schlechtes Zusammenspiel der Muskelgruppen, Innenohr-Probleme, zu wenig Muskelkraft oder auch wackelige Sprunggelenke.
Gesundes Organ
Voraussetzung für den Trainingserfolg ist ein gesundes Gleichgewichtsorgan. Der Hals-Nasen-Ohrenarzt kann das Organ, das in beiden Innenohren sitzt, checken. Jedes dieser Mini-Organe besteht aus einem kleinen Säckchen sowie drei bogenförmigen Gängen. Diese sind teils mit Lymphflüssigkeit gefüllt und stehen im rechten Winkel zueinander. Bei jedem klitzekleinen Positionswechsel bewegt sich die Flüssigkeit. Das reizt die Sinneshärchen, welche Reize über den Hör- und Gleichgewichtsnerv an Gleichgewichtszentrum und Kleinhirn weiterleiten.
So nimmt der Körper Drehbewegungen wahr. Egal, ob man den Kopf oder den gesamten Körper bewegt – das Organ misst alles und leitet die Informationen an die übergeordnete Instanz im Hirnstamm weiter, ans Gleichgewichts-Zentrum. Mit den Daten wird errechnet, wo sich der eigene Körper im Raum befindet und wie er sich weiter bewegen könnte.
Damit das Gleichgewicht aufrechterhalten bleibt, gehen nun Befehle zu den Muskeln und Augen, die Korrektur-Bewegungen ausführen. Das geht rasant – nur nach einer Karussellfahrt schwirrt der Kopf länger. Der Grund: Dreht man sich längere Zeit um die eigene Achse und stoppt abrupt, rotiert die Flüssigkeit im Gleichgewichtsorgan etwas weiter. Man denkt, man drehe sich auf einmal in die andere Richtung.
Sturzprophylaxe im Sitzen
Wer sich bereits wackelig auf den Beinen fühlt oder sich vor Stürzen schützen will, sollte professionelle Unterstützung suchen. Erst geht es zur Diagnose zum Orthopäden , der dann an den Physiotherapeuten überweist. Dieser stellt fest, wie belastbar die Sprunggelenke, die Knie oder die Hüften sind und wie ausgeprägt die Muskulatur ist. Geübt wird erst im Sitzen aus einer stabilen Position heraus.
Erst wenn die einzelnen Bereiche trainiert sind, kommen Ganzkörperübungen hinzu, die der Körperwahrnehmung dienen. Trainiert wird die Kraft der Muskeln, Bewegungsabläufe und die Wahrnehmung der Stellung des Körpers.
Langsamkeit ist gefährlich
Aber auch beim Schutz vor Stürzen geht es nicht unbedingt ums Gleichgewicht. „Wenn man mit dem Fuß umknickt, kommt es darauf an, dass die entsprechenden Muskeln sofort kontrahieren und sich der Mensch so wieder fängt“, erklärt Sportwissenschaftler Froböse. „Dabei wird weder das Hirn eingeschaltet, noch hat das etwas mit dem Gleichgewicht zu tun.“
Entscheidend für eine Sturzprophylaxe ist aus Froböses Sicht, dass ein Mensch nicht in Langsamkeit verfällt. Denn: Muskeln bestehen aus langsamen und schnellen Fasertypen. Wer Stunden schreibt, hält dabei seine langsamen Muskelfasern aktiv. „Um einen Tisch anzuheben, reicht die Kraft aber noch lange nicht aus“, weiß Froböse. Wer Muskeln keinem hohen Reiz mehr aussetzt, lässt die schnellen Muskelfasern verkümmern. Sie werden nicht gefordert. Der Rat an Ältere, sich in Ruhe und langsam zu bewegen, sei darum ein falscher Rat, sagt Froböse. „Auch ältere Menschen dürfen nicht langsam machen. Auch sie sollten ihre schnellen Muskelfasern durch das Hüpfen, Federn und Springen trainieren.“ Denn mittlerweile weiß man, dass sich Muskeln bis ins hohe Alter sehr gut trainieren lassen.
Hüpfen, Springen, Balancieren
Wenn es nach Froböse ginge, würde jeder Mensch täglich die Treppe hinunterrennen, zwei Stufen überspringen, balancieren oder über unebene Flächen laufen. Auf die Anschaffung eines Wackelbretts oder Mini-Trampolins kann man dann getrost verzichten – oder man baut sie ins Alltagstraining ein.