Scharm el Scheich. Viele Fluggäste am Airport in Scharm el Scheich verunsichern die Spekulationen um die Absturzursache. Ein Einblick vom Flughafen.
Anastasia Panfilow steht vor der Sicherheitskontrolle. Ihre Mutter hält die Pässe mit kyrillischen Buchstaben in der Hand. Zusammen mit ihrer Familie fliegt die 16-jährige Russin an diesem Tag von Scharm el Scheich nach St. Petersburg. Eine gängige Verbindung vom ägyptischen Badeort. Seit Samstagmorgen ist dies aber auch die Unglücksroute des russischen Ferienfliegers, bei dessen Absturz mehr als 200 Landsleute Anastasias ums Leben kamen.
„Jetzt haben wir schon komische Gefühle“, sagt Anastasia, lächelt nervös und zeigt dabei ihre Zahnspange. Es sei „schon eine merkwürdige Situation“ gewesen, nach dem Unglück noch Urlaub zu machen, ergänzt die junge Frau. Sie und ihre Familie hätten eine Kerze für die Opfer angezündet. „Jetzt wollen wir einfach nur nach Hause“. Ob sie Angst hat? ihr Vater grätscht in gebrochenem Deutsch dazwischen: „Kein Problem, kein Problem.“
Verunsicherte und wartende Urlauber am Flughafen
Man mag daran zweifeln, dass es kein Problem gibt. Vielleicht sollte man es sogar, denn der britische Premierminister David Cameron spricht von einer „zunehmenden Wahrscheinlichkeit“, dass Flug KGL 9268 der sibirischen Fluggesellschaft Kolavia Ziel eines Terroranschlags geworden ist. Deshalb sind alle Flüge nach Großbritannien – ebenso wie nach Irland und in die Niederlande – gestrichen. Auch deutsche Airlines sagten Flüge ab.
Dass britische Flüge ausgesetzt werden, noch dazu während des Besuchs von Präsident Abdel Fattah al-Sisi in London: eine Ohrfeige für den stolzen Staatschef vom Nil. Und eine Bloßstellung seiner gebetsmühlenartig wiederholten Aussage, die Regierung habe das Terrorproblem – und den Ableger der Terrormiliz IS auf dem Sinai – im Griff. Schon seit Monaten verüben Extremisten immer wieder Anschläge in Ägypten. Die IS-Behauptung, für den Flugzeugabsturz verantwortlich zu sein, hatte Al-Sisi „Propaganda“ genannt.
Und so stehen in der Abflughalle des Flughafens in Scharm el Scheich, in die am Donnerstag die warme Abendsonne über der Sinai-Halbinsel scheint, Trauben von desorientierten Urlaubern. Sie stützen sich auf ihre Koffer oder legen den Kopf in die Hände. Heute kommen sie nicht mehr nach Hause. „Wie lange wird es denn dauern?“, fragt Anna Turner aus Bristol einen Flughafenmitarbeiter. „Wohl ein paar Tage“, antwortet der.
Gerüchte um Absturzursache wie beim Stille-Post-Spielen
Turner war eine Woche in „Scharm“. Natürlich hat sie die Berichterstattung über den Absturz genau verfolgt. Besorgt um ihre Sicherheit sei sie nicht, aber sie störe die fehlende Klarheit nach der Katastrophe. Die Stimmung im Badeort am Roten Meer beschreibt sie mit den Worten: „Einige Leute sagen, es war eine Bombe. Andere sagen, es war keine. Wieder andere sagen etwas Anderes – es ist wie Stille Post.“
Trotzdem würde sie wiederkommen, sagt die Britin. Angst hätte sie wie viele andere Touristen nicht. Die meisten Urlauber seien eher besorgt, wie sie jetzt nach Hause kämen.
Trotzdem wird es viele Menschen geben, die sich für ihren nächsten Urlaub vorsichtshalber gegen Ägypten entscheiden werden – auch wenn die Regierung in Kairo unbedingt den Eindruck vermeiden will, das Land sei ein gefährliches Ziel. Sicherheit ist nicht nur wichtig für die Ägypter, sondern auch für eine der Hauptdevisenquellen des Landes: den Tourismus. Er macht rund elf Prozent des ägyptischen Bruttoinlandsprodukts aus.
Im Süden der Sinai-Halbinsel war es seit 2006 zu keinen größeren Gewalttaten gekommen. „Scharm“ galt als einer der wenigen sicheren Häfen in Ägypten – bis Samstagmorgen. Wenn sich nun herausstellt, dass ein IS-Ableger im Land mächtig genug ist, Flugzeugabstürze herbeizuführen, wäre das ein gewaltiger Schlag für das Land.
Vor dem Stand eines Mobilfunkanbieters steht Mirella Rahmanovic. Eigentlich wollte sie mit Easyjet nach Mailand fliegen. Daraus wird jetzt nichts, deshalb kauft sie sich erstmal eine ägyptische Simkarte. So schlimm sei das schon alles nicht mit der Sicherheitslage, meint sie mit abwehrender Geste. „Aber ich muss Mama anrufen, die hat nämlich Angst.“ (dpa)