Berlin. Zu viel Licht ist auch nicht gut: Bei einigen Menschen bringt die Zeitumstellung den Biorhythmus durcheinander, warnen Experten. Schlafmangel ist die Folge – eine Volkskrankheit, abzulesen an 80 Prozent aller Bürger, die einen Wecker brauchen.
Dem jungen Partygänger, der am Sonntagmorgen aus dem Klub stolpert, dürfte es egal sein, ob es elf, zwölf oder ein Uhr mittags ist. Ältere Herrschaften dagegen, deren Tagesrhythmus von halbwegs geregelter Erwerbsarbeit oder Schulzeiten bestimmt ist, reagieren zum Teil allergisch auf die 60 Minuten, die uns bei der Umstellung auf die Sommerzeit jedes Jahr gestohlen werden.
Selbst wer nicht jede Trendallergie mitmacht, wird an diesem Wochenende wieder von einem merkwürdigen Gefühl befallen: Wozu Sommerzeit? Brauchen wir das wirklich? Wofür war das nochmal gut? Energiewende? EU-Gesetz? Man weiß es nicht mehr so genau.
Der kritische Blick auf die Uhr
Chronobiologen wie Dr. Thomas Kantermann sehen die Zeitumstellung höchst kritisch. Jeder Mensch hat seine eigene innere Uhr, unverwechselbar wie der Fingerabdruck. Diese innere Uhr läuft nicht unbedingt parallel zur Armbanduhr. Beide Uhrwerke müssen jeden Morgen aufs Neue synchronisiert werden. Wie geht das? Durch Licht, idealerweise Tageslicht. In den dunkleren Teilen Skandinaviens gibt es Lichtduschen, die die erhöhte Depressionsrate im Winter senken helfen soll.
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Fehlt der inneren Uhr morgens der Hieb mit dem Lichtschwert, springt unser Körper nicht rechtzeitig an; es droht die Gefahr abendlicher Schlaflosigkeit. Gleichzeitig gilt auch: Wer sich abends zuviel Licht gibt, übrigens auch das blaue vom Computer-Bildschirm oder das diffuse des Fernsehers, kann seinen Schlaf durcheinander bringen. Es geht dabei nicht nur um TV nach Mitternacht, sondern um Licht nach Sonnenuntergang. In einigen Kiezen von Berlin darf man getrost von Lichtverschmutzung reden, weil es dort nicht mehr dunkel wird. Könnte es da einen Zusammenhang mit Aufmerksamkeitsdefiziten bei Kindern und Erwachsenen geben?
Risiko für Herzinfarkt erhöht
Zeit-Forscher wie Kantermann sprechen vom sozialen Jetlag, also eine dauernde Zeitverstellung der inneren Uhr, allein durch zuviel Licht. In der Geschichte der Menschheit ist das elektrische Licht ein relativ neues Phänomen, keine 100 Jahre in jedem Haushalt. Früher wurde zu Bett gegangen, wenn es dunkel wurde, Kerzen waren teuer, aufgestanden wurde mit dem Morgengrauen. Ein paar Minuten Veränderung pro Tag, das war das Tempo, das der Körper mitgehen kann. Eine ganze Stunde Umstellung dagegen bringt bei manchen Menschen die innere Uhr zum Rotieren und den Schlaf durcheinander. Der soziale Jetlag wird befeuert, bestimmt nicht bei allen, aber bei einigen.
Schlafmangel ist eine Volkskrankheit, abzulesen an 80 Prozent aller Bürger, die einen Wecker brauchen. Von allein aufwachen, das ist ein guter Indikator für ausreichend Erholung und natürliches Funktionieren der Reflexe. Schlafmangel begünstigt Stoffwechselprozesse, die zum Beispiel zu Übergewicht führen. Studien, die Chronobiologe Kantermann zitiert, haben zudem gezeigt, dass die Umstellung auf Sommerzeit das Risiko von Unfällen am Arbeitsplatz, von Selbsttötungen, Schlaganfällen und Herzinfarkten erhöht. Wahrscheinlich könnte man mit keiner Maßnahme mehr für die Volksgesundheit tun als mit dem schlichten Abschaffen der Sommerzeit.