London.. Die „Eiserne Lady“ und Hassfigur von einst erfährt eine Neubewertung im Königreich – als Stilikone und Trendsetter.

Im Amt verhasst, heute angesagt: Margaret Thatcher erfährt im britischen Königreich ein stilistisches Revival. Ihre Handtaschen, Waffe und Markenzeichen zugleich, sind plötzlich Kultobjekte. Auf Tee-Partys debattieren Endzwanziger mit Perlenketten und in Schleifenblusen über die Eiserne Lady als Feministin. Nur eines fehlt dem neuen Thatcher-Trend – der Thatcherismus.

„Die Ex-Premierministerin ist eine Ikone, egal, ob man sich nun mit ihrer Politik identifiziert oder nicht“, sagt Kerstin Rodgers. „Und ich bin wirklich kein Tory-Fan.“ Jede Betonung politischer Animositäten wäre eigentlich überflüssig gewesen.

Dass Londons ausgeflippteste Punk-Köchin schon optisch nicht zu den konservativen „Krawattis“ in Westminster passt, wird sofort klar. Ihre Haare hat sie Pink gefärbt, passend zum Mini-Rock. Den hebt sie gleich mal hoch, sodass die Fremden in ihrem Wohnzimmer einen Blick auf fleischfarbene Stützstrümpfe werfen dürfen. Nicht die einzige Hommage an Margaret Thatcher, die Rodgers darbietet. Sie hat eingeladen zum „Tee der Eisernen Lady“ und liegt damit im Trend.

Jüngere interessiert mehr der Mensch als die Macht

Denn die Hassfigur von einst erfährt eine Neubewertung im Königreich, seitdem Hollywood sie in dem heftig umstrittenen Film „Die Eiserne Lady“ porträtiert hat. Am 6. März kommt das Drama um die demenzkranke Thatcher auch in deutsche Kinos. Und während Tory-Anhänger bemängeln, dass der Film ihr Lebenswerk gering schätzt, Kritiker andererseits über die Retusche der brutalen Nebeneffekte ihrer Politik motzen, ist in Großbritannien ein Denkprozess in Gang gekommen.

30 Jahre nach ihrer Amtszeit interessiert Jüngere am Machtmenschen Thatcher mehr der Mensch als die Macht. „Thatcher war die letzte, echte Überzeugungspolitikerin. Heute wollen viele einfach nur ein Amt aus Eitelkeit“, findet Rodgers. Das kleine Grüppchen in ihrem improvisierten Tee-Salon nickt eifrig. Ihre Gäste inszenieren den Tory-Schick der achtziger Jahre perfekt und mit einer Prise Selbstironie: Mittzwanzigerinnen haben sich in die kobaltblauen Strickjacken geschmissen – Thatchers Lieblingsfarbe.

Protestkekse mit Zuckerguss-Protesten

In einem Rezeptbuch aus dem Antiquariat hat Rodgers eine Anleitung gefunden, die Thatcher einst für den guten Zweck beigesteuert hat – für Orangen-Walnuss-Kuchen, den die Punk-Frau nun duftend aus der Küche trägt. Sie hat natürlich auch Protestkekse gebacken mit Zuckerguss-Forderungen wie „Thatcher muss weg“. Sie verulkt den kompromisslosen Wirtschaftsliberalismus jener Ära mit Lachs-Schnittchen und dem Hinweis, dass „arbeitslose Bergarbeiter sich so etwas auf keinen Fall leisten könnten“.

Rodgers sieht Thatcher als verkannte Feministin: „Sie zieht nur so viel Hass auf sich, weil sie sich als Frau gegen Männer durchsetzen konnte. Ronald Reagan, der die gleiche Politik vertrat, gilt heute nicht als Monster, sondern als sympathischer Cowboy.“

Thatcherismus? Fehlanzeige!

Im Londoner Stadtteil Chelsea feiert die Eiserne Lady ebenfalls eine Renaissance. Das „Maggie’s“, ein Achtziger-Jahre-Club, hat vor einem Jahr eröffnet und ist der letzte Schrei. „Niemand, nicht einmal Madonna, verkörpert diese Dekade so sehr wie Thatcher“, erklärt Gründer Charlie Wilkens die Namensgebung. Und Thatcherismus? Fehlanzeige! „Die Leute haben die Politik jener Ära längst vergessen“, sagt er. „Unsere Gäste sind Anfang 40 und wollen noch einmal das Gefühl ihrer Teenagerjahre spüren.“

Und so tragen die Cocktails im Maggie’s bunte Deko-Schirmchen. Die Probleme vor der Clubtür, Rezession und Bankenkrise, der immer unbezahlbarer werdende Wohnraum in London – all das lässt sich für einen Abend im Maggie’s prima vergessen. Ein alter Hit, „Don’t stop believin’“ von Journey, ist hier stets die Gute-Laune-Garantie, egal, wie’s draußen aussieht.

Nostalgie tröstet und lässt die Kassen klingeln

Nostalgie tröstet. Und lässt die Kassen klingeln. So bemerkt etwa Thatchers Handtaschenfabrikant Launer eine überraschende Rückkehr zu altmodischer Eleganz. Neuer Verkaufsschlager ist das Modell „Diva“, ein Mini-Koffer, wie von Thatcher. Um 60 Prozent hat das Unternehmen seinen Absatz seit dem Filmstart gesteigert.

Was die Eiserne Lady zu ihrer späten Rehabilitation sagen würde, weiß niemand. Thatcher, heute 86 Jahre alt, lebt zurückgezogen in London und wird wegen ihrer fortgeschrittenen Demenz rund um die Uhr betreut. Das letzte Mal, dass sie sich öffentlich geäußert hat, war 2007 im Unterhaus, als dort ihr Ebenbild in Bronze enthüllt wurde. Sie reagierte gewohnt schlagfertig: „Ich hätte Eisen als Material bevorzugt, aber Bronze tut’s auch. Das rostet wenigstens nicht.“ Die freche Tee-Party bei einer Punk-Köchin hätte ihr bestimmt gefallen.