Brüssel/Berlin. Der Pferdefleisch-Skandal hat fast zwei Drittel der EU-Staaten erreicht. Der Bundestagsabgeordnete Hartwig Fischer hat vorgeschlagen, aus dem Verkauf genommene Produkte wie Lasagne Hilfsorganisationen zugute kommen zu lassen. Für den Vorschlag wird der CDU-Entwicklungspolitiker heftig kritisiert.
Der Pferdefleisch-Skandal hat fast zwei Drittel der EU-Staaten erreicht. 17 von 27 Mitgliedsländern haben inzwischen Verdachtsfälle von als Rind deklariertem Pferdefleisch nach Brüssel gemeldet. Der CDU-Entwicklungspolitikers Hartwig Fischer schlug vor, aus dem Verkauf genommene Produkte wie etwa Lasagne oder Gulasch nicht zu vernichten. Sie sollten stattdessen an Hilfsorganisationen wie die Tafeln gehen. Die Tafel reagierten zurückhaltend.
Eine Sprecherin des Bundesverbands Deutsche Tafel sagte zum Vorschlag des Bundestagsabgeordneten Fischer, die Frage einer Verteilung stelle sich nicht. Es gebe eine Verunsicherung, die Tafeln würden solche Waren daher nicht annehmen, wenn es bei den Nutzern keine Nachfrage gebe.
Vorschlag "respektlos gegenüber Bedürftigen"
Auch Matthias Kopp, Sprecher der deutschen Bischofskonferenz, kritisierte den Vorschlag scharf: "Es ist respektlos gegenüber Bedürftigen. Qualitative Mindeststandards muss jeder Bedürftige erhalten. Wer so etwas vorschlägt, kann nur Kopfschütteln auslösen."
Auch Christian Bakemeier, Geschäftsführer der Konferenz für Kirchliche Bahnhofsmission, war von Fischers Idee weniger begeistert: "Es ist "bedürftigen" Menschen nicht zuzumuten, sich von nicht mehr verkäuflichen Lebensmitteln zu ernähren." Dass immer mehr Menschen darauf angewiesen seien, sich von gespendeten Lebensmitteln zu ernähren, solle die Politik lieber zum Anlass nehmen, über die Lösung der Armutsprobleme in Deutschland nachzudenken.
Die Bundesregierung will sich derweil für erweiterte Kennzeichnungen bei Fleischfertigprodukten einsetzen. Bisher musste nur bei rohem Rindfleisch vermerkt sein, aus welchem Land es stammt, aber nicht bei Fertigprodukten mit Fleisch. Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) will dies nun ändern. Sie sagte der "Passauer Neuen Presse" (Freitag): "Deutschland und Frankreich sind sich einig: Wir wollen eine Herkunftskennzeichnung - und zwar so bald wie möglich und verpflichtend für alle 27 Staaten der EU." Darüber solle am Montag im Agrarministerrat beraten werden.
Vorermittlungen gegen Rostocker Produzenten aufgenommen
Im Zusammenhang mit dem Skandal nahm die Staatsanwaltschaft Rostock Vorermittlungen gegen einen Produzenten aus dem Landkreis Rostock auf. Geprüft werde, ob ein Anfangsverdacht für eine Straftat vorliegen könnte, sagte ein Sprecher. Noch gebe es aber keinen Anfangsverdacht, keine Beschuldigten und keine Geschädigten. Auch bei der Staatsanwaltschaft Oldenburg (Niedersachsen) laufen Ermittlungen.
In den vergangenen Tagen sind in Europa immer mehr Produkte mit nicht deklarierten Pferdefleisch-Anteilen entdeckt worden. Geschäfte nahmen Gerichte aus den Regalen, Behörden verschärften Kontrollen. In Rumänien wurden mehr als 700 Kilogramm falsch etikettiertes Fleisch im Lagerraum eines Großhändlers gefunden, wie die rumänische Nachrichtenagentur Mediafax berichtete.
Bis Donnerstag wurden sechs Fälle von vermutetem Betrug an das europäische Warnsystem RASFF mitgeteilt - aus Deutschland, Irland, Großbritannien und Österreich. Die falsch ausgezeichneten Produkten waren Nudelgerichte, Gulasch, Burger und Gefrierfleisch.
17 der 27 EU-Länder betroffen
17 der 27 EU-Länder erhielten Lieferungen mit möglicherweise falsch deklariertem Pferdefleisch: Deutschland, Irland, Österreich, Dänemark, Finnland, Frankreich, Ungarn, Italien, die Niederlande, Spanien, Großbritannien, Zypern, Bulgarien, Tschechien, Griechenland, Portugal und Schweden. Auch in die Nicht-EU-Länder Schweiz, Norwegen und Hongkong gingen Lieferungen. Die Ware kam nach Angaben der meldenden Behörden aus Frankreich, Deutschland, den Niederlanden, Belgien, Polen, Irland, Luxemburg, Rumänien und Zypern.
Allerdings müssen die Staaten nicht verpflichtend alle Fälle von vermutetem Pferdefleisch-Etikettenschwindel melden, weil möglicher Betrug keine Frage der Lebensmittelsicherheit ist. Die EU-Kommission bittet in der aktuellen Affäre dennoch um solche Meldungen. EU-Diplomaten halten die Angaben für weitreichend.
Auch Pferdefleisch, das das Medikament Phenylbutazon enthält, haben die Behörden der EU-Länder beim RASFF-System angezeigt. Das entzündungshemmende Mittel darf nicht in Fleisch für den menschlichen Konsum enthalten sein. Phenylbutazon fand sich in Fleisch aus Großbritannien und gelangte nach Frankreich und in die Niederlande.
Nach Pferd auch Schwein in Nudelgericht mit Rindfleisch
Das mit Pferd vermischte Rindfleisch des münsterländischen Unternehmens Vossko stammt aus Polen. Zudem sei in der Probe auch noch Schweinefleisch nachgewiesen worden, teilte der Kreis Warendorf am Donnerstag mit. Vossko hatte bei eigenen Analysen bereits in der vergangenen Woche Pferdefleisch in Proben gefunden. Dieses Ergebnis habe sich jetzt in der Analyse des Chemischen Landes- und Veterinäruntersuchungsamtes Münsterland/ Emscher-Lippe bestätigt. Vossko hatte das Liechtensteiner Unternehmen Hilcona beliefert, das für den Discounter Lidl "Combino Tortelloni Rindfleisch" herstellt. Lidl nahm das Gericht aus dem Angebot.
Details zu dem polnischen Betrieb nannte der Kreis Warendorf nicht. "Nach Mitteilung des Verbraucherschutzministeriums NRW haben die Behörden aufgrund einer Gesetzeslücke derzeit nicht die Möglichkeit, die konkreten Namen der betroffenen Firmen zu nennen oder Probenergebnisse zu veröffentlichen", hieß es. Da von den Produkten nach bisherigem Stand keine akuten Gesundheitsgefahren ausgingen, sei eine Nennung nur mit Zustimmung der betroffenen Unternehmen selbst möglich.
Sieben von elf Proben positiv
Durch Proben aus einem Kühlhaus in Neuss, in dem eine Düsseldorfer Handelsfirma Waren lagert, wurden in weiteren Fällen unerlaubtes Pferdefleisch nachgewiesen. Nach Angaben des Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsamts des Rhein-Kreises Neuss waren sieben der elf Proben positiv. Alle sechs Proben der bereits verdächtigen Ware sowie eine Probe von anfänglich unverdächtigen Produkten hätten entgegen der Kennzeichnung Pferdefleisch enthalten, hieß es. Weitere Proben sollen analysiert werden. (dpa)