Michael Jack nimmt mehr Sinneseindrücke war als die meisten Menschen, und genau das ist sein Problem.Für "hochsensible Personen" wie ihn wird der Krach des Alltags oft zur Qual. Immerhin: Er ist nicht allein

Duisburg. Michael Jack ist eine echte Mimose: Lärm hält er kaum aus, Chaos bringt ihn völlig aus dem Tritt. Partys und Diskos sind seine persönliche Hölle. Wie andere Wasser und Brot zum Leben brauchen, so braucht er Zeit für sich allein. Er ist, das würden Psychologen sagen, eine "hochsensible Person". Für ähnlich empfindsame Menschen - schätzungsweise jeden Zehnten - hat er nun einen bundesweiten Verein ins Leben gerufen.


Moderne Alltage atmen für sie unzählige Zumutungen ein und Verwirrungen aus: Im Zug plärrt der Sitznachbar in sein Handy, wabert der Bass aus einem ipod herüber, es riecht streng und draußen ziehen irrsinnig schnell alle möglichen Szenerien vorbei. Was für den einen eine entspannte Fahrt sein mag, gerät für Hochsensible zur Qual.


"Unser Nervensystem ist so beschaffen, dass wir viel mehr Sinneseindrücke als normal sensible Personen aufnehmen können", erkärt Jack. Doch dieses Luxustalent kennt keine Pause, keine Grenze, keinen Ausschalter. Hochsensiblen fehlt der Filter, mit denen andere ihre Sinneseindrücke einfach regulieren oder wenn nötig ausblenden.


"Ich hatte viele Jahre das Gefühl, dass ich von einem anderen Stern komme, ein Alien bin", erinnert sich der 26-Jährige. "Im Unterricht hat es mich verstört, wenn zu viel Halligalli in der Klasse war." Im Hörsaal an der Uni sitzt er meist vorn - das Gebrabbel der anderen Studenten lenkt ihn so sehr ab, dass er den Vorträgen nicht mehr folgen kann. Für seinen Vater war Jack stets das "Sensibelchen", eine geradezu klassische und klassisch-abwertende Bezeichnung für Dünnhäuter wie ihn.


Er misstraute letztendlich seinem Aliengefühl. "Es konnte einfach nicht sein, dass ich der Einzige war, der so empfindet", sagt Jack. Der Jura-Doktorand recherchierte im Internet, und was er dort fand, sprengte ganze "Gebirgsketten" von seinem Herzen. Die US-Psychologin Elaine Aron hatte das Phänomen Hochsensibler bereits in den Neunzigern erforscht. "Dass meine Situation plötzlich einen Namen hatte, half mir, mich zu verstehen", meint Jack heute. "Früher habe ich versucht, mich an die Mehrheit anzupassen, jetzt weiß ich, dass meine Maßstäbe legitim sind."


Michael Jack machte sich daran, auch anderen Hochsensiblen ein "Gebirgsketten-Erlebnis" zu verschaffen: Er initiierte Gesprächskreise in Dortmund, Bochum und vor einem Monat in Duisburg. Die fünfzehn Personen, die sich im Schnitt an den Gruppen beteiligen, erkennen sich meist auf Anhieb im anderen wieder. "Einer erzählt und alle nicken", schildert Jack die Begegnungen. Dünnhäutigkeit ist allen vertraut - in den Gruppen bekommen Hochsensible Strategien und Werkzeuge an die Hand, mit denen sie ihr Leben unter dem Einfluss jener ambivalenten Begabung besser meistern.


"Wir sind kein Forum für Esoteriker", betont Jack gleich. Hochsensibilität bezeichnet auch nicht jene Persönlichkeiten, die nur empfindsam sind, wenn es um sie selbst, aber nie, wenn es um andere geht. Eine verlässliche medizinische Diagnose gibt es nicht, obschon Psycho-Glanzmagazine Fragebögen veröffentlichen. "Alles Quatsch", meint Jack. "Wer sich in den Symptomen wiedererkennt, der kann sich getrost als einer von uns bezeichnen."


Klar scheint indes, dass das reizbare Nervensystem Hochsensibler körperliche Ursachen und vor allem Folgen hat: Betroffene leiden überdurchschnittlich häufig an Allergien, erhöhter Kälte-Wärme-Empfindlichkeit und Erschöpfung. Da mag es kaum trösten, dass sie oft kreativer, einfühlsamer und analytischer sind als andere. Nun soll der "Informations- und Forschungsverband Hochsensibilität", den Michael Jack am vergangenen Samstag in Bochum gegründet hat, diese Botschaft in die unsensible Welt transportieren."Dass meine Situation plötzlich einen Namen hatte, half mir"