Stockholm..
Die Skandal-Biografie über Carl Gustaf zeichnet Schwedens Staatschef nicht nur als Lustmolch. Sondern auch als überforderten Jüngling. Seine Eskapaden könnten auch als eine Art Flucht aus der Verantwortung interpretiert werden.
Schwedens Staatschef Carl Gustaf XIV ist derzeit in einen Staatsbesuch nach China abgetaucht. Wahrscheinlich denkt er nach. Ein seriös recherchiertes Skandalbuch hat den 63-jährigen Staatschef auf Lebenszeit auf 352 Seiten in die wohl tiefste Krise seiner Amtszeit geführt.
36 Jahre nach der feierlichen Vermählung mit seiner deutschstämmigen Silvia, und ein halbes Jahr nach der mindestens ebenso glanzvollen Vermählung seiner beliebten Tochter, Kronprinzessin Victoria mit ihrem Fitnesslehrer Daniel, wird dem Monarchen Untreue und krankhafte Frauensucht vorgeworfen, die er bis heute in hochgefährlichen kriminellen Milieus mit Drogenabhängigen, Prostituierten oder kaum volljährigen Vorortmädchen ausgelebt haben soll. Selbst beim Staatsbesuch mit seiner gesamten Familie bei den Olympischen Spielen 1996 in Atlanta konnte der damals 58-jährige den Besuch einer Prostituierten in einem VIP-Bordell angeblich nicht lassen. Nun sollen auch noch verfängliche Videos mit ihm aus einem Nachtclub vor der Veröffentlichung stehen.
Das Buch lässt kaum Raum für Zweifel. Allerdings: Von der gesamten ersten Hälfte der Biografie liest man in der Presse wenig. Und die sieht ganz anders aus: Da wird ein weicher, intelligenter junger Mann beschrieben, der eigentlich gar nicht König werden will und dessen spätere Eskapaden als eine Art Flucht aus dieser Verantwortung interpretiert werden. Den jungen König zeichnen die Autoren fast liebevoll, als einen unsicheren Adjutanten bei der Marine, der lieber einer von vielen ist als der König. Einer, der mit seinen Kameraden nach Dienstschluss die Bars fremder Häfen erkunden will und dort erstmals nach seinem Aufenthalt in einem Elite-Internat bei Stockholm Freiheit gespürt haben soll – was auch immer das für einen jungen Mann bedeuten mag.
Er wollte leben
Der Kronprinz las auf hoher See „Der eindimensionale Mensch“ von Herbert Marcuse, ein Buch, das in der 68er-Bewegung für die sexuelle Befreiung, Studentenrevolten und den Ausstieg aus dem kapitalistischen System stand.
Das schwedische Königshaus war damals so unpopulär wie nie zuvor. In einem selten ehrlichen Interview, das Carl Gustaf 1969 einem schwedischen Magazin gibt, merkt man ihm die Leidenschaftslosigkeit bezüglich der Thronfolge an. Er wollte vor allem leben.
Was der Kronprinz von der Abschaffung der Monarchie und einem vom Volk gewählten Repräsentanten halte, wird er dort gefragt, weil es eine ernst zu nehmende Frage in Schweden war. Der junge Prinz antwortete offen, dass es für ihn völlig in Ordnung wäre, wenn das Volk das wünsche. Dann müsse man nur den Namen des Amtes ändern, fügt er verständnisvoll hinzu.
Der Kronprinz, dessen Vater bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam, musste dann plötzlich mit 27 Jahren den Thron von seinem Großvater übernehmen – ein Amt auf das sein Vater fünf Jahrzehnte vorbereitet wurde. Der Legastheniker Carl Gustaf, der genauso wie seine älteste Tochter an Gesichtsblindheit leidet – also Gesichter nicht ohne weiteres wiedererkennt – hatte denkbar schlechte Voraussetzungen für die Erfüllung seiner repräsentativen Aufgaben. Ihm fiel es schwer zu pauken. Dann wurde der Druck immer größer. Irgendwo bedurfte er wohl eines Ventils. Oder vieler, so meinen die Biografieautoren. Und in Stockholm habe man zwar getuschelt, aber diese Ventile über viele Jahrzehnte letztlich akzeptiert. Sogar die Königin selbst wusste Bescheid, heißt es im Buch.
Silvia wusste Bescheid
Seinen Traum von Freiheit bestätigt auch die Camilla Henemark, Sängerin des MTV-Hits „Army of Lovers“ (die Dame in der Krankenschwesteruniform im Video), mit der der König angeblich in den Neunzigern eine intensive, einjährige Liebesbeziehung gehabt hat. „Wir malten uns oft aus, einfach zu fliehen“, erzählt Henemark in dem Buch.
Nach einem Jahr verlor Carl Gustaf Interesse an ihr, heißt es. Neue Kicks warteten auf ihn. Medien und Geheimpolizei deckten offenbar alles. Bis heute.