Essen. Ex-Kremlchef Michail Gorbatschow schreibt in seiner Biografie „Alles zu seiner Zeit“ vor allem über die Beziehung zu seiner Ehefrau Raissa, die 1999 an Krebs starb.
Es gibt viele gute Gründe, die Mächtigen der Welt zu beneiden: um ihre Macht, ihr Geld, ihren Einfluss. Michail Gorbatschow aber, ehemals Chef des Moskauer Kremls, Vater der Perestroika, Friedensnobelpreisträger, hatte sogar noch mehr als das: Sein größtes Gut und Glück – war die Liebe zu seiner Frau Raissa. Nach ihrem Krebstod 1999 hatte sein Leben „seinen eigentlichen Sinn verloren“. Dies schreibt er in seiner Biografie, die er in dieser Woche in Deutschland vorstellt. Ab Dienstag ist das Buch im Handel.
Was wäre wohl gewesen, hätte der Student Michail an diesem Herbstabend im Jahr 1951 weiter „gepaukt“, statt mit seinen Freunden von der Moskauer Uni in den Studentenclub in der Stromynka-Straße zu gehen? „Weißt du, was da für ein Mädchen aufgetaucht ist?“, lockten sie ihn, aber er entgegnete: „Als ob es wenig Mädchen auf der Welt gäbe!“ Dann aber ließ er sich doch überreden, es war ein Gang „dem Schicksal entgegen“. Denn sofort hatte „das elegante, sehr zarte, rothaarige Mädchen“ es ihm angetan, er war „tief beeindruckt“ und „verzaubert“. Nur leider: beachtete Raissa ihn gar nicht.
„Ein Abend, der alles bedeutete“
Erst zwei Monate später kamen sie sich näher, bei einem Spaziergang, dem viele weitere folgten. In einer langen Sommernacht, in der sie im Hof des Studentenheimes redeten und redeten, versprachen sie sich, „für immer zusammenzubleiben“.
Hat je ein (Ex-)Staatschef so detailliert über Intimstes geschrieben? Michail Gorbatschow berichtet nicht nur von der standesamtlichen Hochzeit am 25. September 1953. „Mann und Frau wurden wir erst“, plaudert er, „als wir Anfang Oktober in das Heim auf den Leninbergen zogen. In jenen Tagen fuhren die Studenten zur Kartoffelernte in den Kreis Moschaisk. Als ich zurückkam, reservierte Raissa in ihrem Zimmer einen Abend nur für uns zwei, einen Abend, der alles für uns bedeutete und ein Versprechen für immer war.“
Sie ist 21, er 22 Jahre alt.
Gorbatschows Rückblick auf sein Leben ist geprägt von dieser Liebe. Seine Biografie betont das Private stärker als das Politische, was irritieren mag – letztlich aber eine konsequente Besinnung ist auf das, was wichtig ist im Leben. Er erzählt, wie das junge Paar zum ersten Mal die jeweiligen Schwiegereltern besucht (beide Mütter sind eifersüchtig), wie die Tochter Irina geboren wird, wie sie die erste eigene Wohnung beziehen: 38 Quadratmeter, Küche, Bad – „Das war ein Riesenereignis! Was brauchten wir mehr?“
Raissa muss um ihre Karriere an der Universität kämpfen, Michail macht erste Schritte auf politischem Parkett. Doch selbst, wenn er von weltpolitischen Ereignissen schreibt, betont er die Rolle der Frau an seiner Seite. Als er 1986 in Reykjavik US-Präsident Reagan trifft und die Abrüstungs-Verhandlungen nicht rund laufen (laut Gorbatschow scheiterten sie an den USA) und Gorbatschow das Treffen dennoch als Erfolg verkauft – da sind ihm Raissas Tränen der Rührung ein Garant dafür, dass er „den Prozess der Veränderung gerettet“ habe.
Es scheint, als werbe Gorbatschow mit seinem Buch um Sympathie. Gorbatschow scheint Raissa verteidigen zu wollen gegenüber jenen Kritikern, die die Moskauer First Lady als „zu aristokratisch“ beschimpften. Sie „stammte aus einer einfachen Familie“, betont er nun, und: „Mir gefiel, dass sie schön aussehen wollte.“ Wenn er seine Politik der Perestroika noch einmal vehement darlegt („Mehr Demokratie“ heiße auch „mehr Sozialismus“), ist dies ebenfalls als Antwort auf die Kritiker in seiner Heimat zu verstehen.
Leid, Tod und Schuld
Raissa habe unter der rapide schwindenden Wertschätzung gelitten, die die Gorbatschows nach dem Zerfall der Sowjetunion erfahren hatten. Ob ihr Krebstod wirklich in Zusammenhang damit steht? „Ich werde das Gefühl nicht los, dass ich schuld bin an Raissas Tod. Ich habe gesehen, wie die Ereignisse der letzten Zeit ihr zusetzten“, schrieb er ein Jahr nach ihrem Tod in sein Tagebuch.
Die Geschichte seines Lebens ist zugleich ein Denkmal für Raissa Gorbatschow – und liest sich in seiner Intimität, seiner präzisen Innensicht beinahe als Roman über die Liebe in Zeiten der Sowjetunion.
- Michail Gorbatschow: Alles zu seiner Zeit. Mein Leben. Hoffmann & Campe, 552 S., 24,99 €