Washington. Immer mehr Sitze, immer weniger Platz: Fluggesellschaften wollen mehr Passagiere in der “Economy“-Klasse unterbringen - und die Fluggäste gehen aufeinander los, wenn einer die Rückenlehne kippt. Mehrfach mussten Flugzeuge zwischenlanden, um wild gewordene Passagiere rauszuwerfen.

Wenn vom unwillkommenen Eindringen in den Luftraum die Rede ist, denkt man gewöhnlich an militärische Muskelspiele, Abfangjäger und diplomatisches Verwicklungen. James Beach denkt an die Rückenlehne seiner Vorderfrau. Der 48-jährige Geschäftsmann aus Colorado steht für die jüngste Verrohung der Sitten über den Wolken, wo sich widerspenstige, nervenschwache und egoistische Fluggäste („unruly passengers“) den Aufenthalt an Bord zunehmend zur Hölle machen. Es geht um die Bein- und Bewegungsfreiheit in der Touristen-Klasse „Economy“. Und darum, wie manche sie verteidigen. Aua.

James Beach kam am am 24. August nach einem Transatlantikflug müde aus Moskau und wollte von New York nach Denver weiterfliegen. Der 1,85 Meter große Vielflieger weiß um die Ellbogen-Mentalität vieler Zeitgenossen und ging auf Nummer sicher. Um zu verhindern, dass ihm eine zurückschnellende Rückenlehne den Laptop in die Magengrube schiebt oder den Tomatensaft auf die Hose befördert, griff er zu „Knee Defendern", übersetzt: Knie-Verteidiger. Plastik-Manschetten zum Paarpreis von 22 Dollar, mit denen die Rückenlehne des Vordermannes fixiert werden kann. Ein Zurückstellen ist nicht mehr möglich. Die Klammern, von Ira Goldmann 2003 erfunden, sind legal, aber von vielen Fluggesellschaften verboten.

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Die Maßnahme stieß in der Reihe vor Beach erwartungsgemäß nicht auf Beifall. Ein Wort gab lautstark das andere. Am Ende hatte James Beach ein Glas Wasser im Gesicht und eine radikale Kursänderung zu gewärtigen. United Airlines landete in Chicago zwischen und setzt die Streithähne vor die Tür. „Gott, ist mir das peinlich“, sagte Beach jetzt im landesweiten Frühstücksfernsehen bei NBC, „ich hätte es klüger anstellen müssen.“

Immer weniger Platz für Passagiere der "Holzklasse"

Kein Einzelfall. In 10.000 Meter Höhe gehen die Erregungskurven in der „Holzklasse“ nach Erfahrung des 60.000 Stewardessen und Stewards vertretenden US-Verbandes der Flugbegleiter „steil nach oben“. Als einen Grund machen Forscher, Reiseportale und Mediziner aus, dass es am Himmel immer turbulenter und enger zugeht und eine „komfortable, dynamische, aufrechte und gesunde Sitzposition“ auf den billigeren Plätze immer seltener gewährleistet ist.

Viele Fluggesellschaften haben zwecks Profitsteigerung den Gästen in der „Economy“ in den letzten Jahren einen Inch (2,54 cm) nach dem anderen abgeknapst. Um eine zusätzliche Sitzplatzreihe montieren zu können oder den Erste-Klasse-Abteilen noch mehr Spielraum zu verschaffen. Damit die Platzverdichtung, die in den hinteren Reihen durchschnittliche Sitzabstände zwischen 73 und 84 Zentimeter erzeugt hat, nicht sofort ins Auge sticht, arbeiteten die Innenraum-Designer mit optischen Tricks, sagen Kritiker: „kleinere Ausklapptische, schmalere Lehnen, keine Fächer für Zeitschriften“. Was die Nebenwirkungen des erzwungenen Zusammenrückens keineswegs schmälert.

Grundsatz-Diskussion in Internetforen: Darf man die Lehne zurückstellen?

Nach dem Duell James Beach gegen unbekannt musste ein American Airlines-Flug von Miami nach Paris in Boston unvorhergesehen Station machen, weil sich zwei Passagiere wegen eines zurückgelehnten Sitzes an die Wäsche gegangen waren. Ähnliches ereignete sich in einer Delta-Airline-Maschine auf der Route von New York nach West Palm Beach/Florida. Eine Passagierin hatte ihren Kopf zum Ausruhen auf den Klapptisch vor ihr gelegt. Plötzlich katapultierte ihr Vordermann ohne Vorwarnung seine Lehne zurück. Den Rest kann man sich schmerzhaft denken.

In US-Internetforen wie in den Medien haben die Zwischenfälle eine absurd hitzige Grundsatz-Diskussion ausgelöst. Verteidiger der „Knie-Verteidiger“ und Meine-Lehne-gehört-mir-Besitzstandswahrer stehen sich unversöhnlich gegenüber. Der Ruf nach einem „Air Knigge“ wird lauter. Nicht mehr lange, unkte ein Radio-Komiker, und Obama wird um eine „Rede zur Beinfreiheit der Nation“ gebeten. Dabei reicht schon gesunder Menschenverstand und etwas Empathie aus, findet das Reiseportal Skyscanner, um dem Streit die Schärfe zu nehmen: Mehr Rücksichtnahme beim Gebrauch der Rückenlehne!

Billigfluglinien wie Sprint oder Allegiant (USA), Monarch (Großbritannien) oder Easyjet und Ryanair (Europa) sind dem Problem längst anders beigekommen. In ihren Flugzeugen gibt es auf Kurzstrecken nur noch unverstellbare Sitzschalen. Wenn schon unbequem, dann für alle.