Dortmund.. Der neue Fitness-Trend schwappt gerade aus den USA auf den deutschen Markt. In Amerika hat es den Fitnessstudios längst den Rang abgelaufen. Sportwissenschaftler warnen jedoch. Die Gefahr einer körperlichen Überlastung sei groß, Verletzungen kämen häufig vor.
Den Mann, der sie quält, nennen sie Markus. Nicht „Sir“ oder „Herr Hauptfeldwebel“, schlicht Markus. Wir sind ja hier schließlich nicht beim Bund – obwohl die Kulisse den Anschein vermittelt. Markus, der mit Nachnamen Schiffmann heißt, steht in einer alten, übertrieben schmucklosen Dortmunder Industriehalle, deren Komfort darin besteht, dass sie eine funktionierende Toilette hat. Es riecht nach Werkstatt. Vielleicht ist es auch nur der Geruch von Maloche. Grelle Neonröhren erhellen die Halle mit den weißen Betonwänden, die sie stilecht Box nennen und nicht Studio.
Wer will hier schon länger bleiben als nötig? Niemand. Und genau das ist das Konzept von Crossfit, einem neuen Fitness-Trend aus den USA, der als das härteste Workout der Welt gilt. Und der zudem drauf und dran ist, den deutschen Markt zu erobern. Kommen, quälen und wieder gehen.
Liegestütze, Klimmzüge, Hanteln stemmen
Karla Kohl, 35, ist soeben bei Phase zwei angelangt: quälen. Die roten Ziffern der Digitalanzeige an der Wand zählen von acht Minuten herunter. Liegestütze bis zur Erschöpfung. Dann Klimmzüge – bis die Muskeln ihren Dienst einstellen. Danach: Die Langhantel mit zehn Kilo Gewicht aufheben, hochstrecken, ablegen. Und wieder alles von vorne. Acht Minuten lang. Wer nach Pausen fragt, hat das Prinzip nicht verstanden. Oder war nie bei der US-Army. Auf diesem Modell basiert Crossfit nämlich.
Doch wie sehr muss man seinen Körper hassen, um ihn freiwillig so zu malträtieren? Karla Kohl, Lehrerin aus Dortmund, lächelt kurz, um keck zu antworten: „Man muss ihn lieben.“ Sie mag nicht das „Schicki-Micki“ in Fitnessstudios, gepolsterte Geräte seien langweilig, so sagt sie, während im Hintergrund Techno-Bässe aus den Boxen scheppern.
Zwei Männer, beide gut durchtrainiert, aber keine Bodybuilder, und eine weitere Frau stöhnen, kneifen die Augen zu, fletschen die Zähne und pressen. Auf der Suche nach der eigenen Grenze, die sie finden und mit einem Satz unter Schmerzen überschreiten. Es ist die Kategorie „fortgeschritten“.
Wie der Hobbykeller von Felix „Quälix“ Magath
Ein paar Meter entfernt gibt Markus Schiffmann, der im März seine Crossfit-Box in Dortmund-Barop gründete, den Anfängern technische Tipps. Wie man zum Beispiel korrekt in der Hocke sitzt. Crossfit ist nämlich nicht nur Krafttraining, sondern schult den gesamten Körper: Ausdauer, Durchhaltevermögen, Balance, Schnelligkeit, Genauigkeit. In Internetforen erzählen sie von 65-Jährigen, die erstmals einen Handstand gelernt haben.
Ein Dutzend Medizinbälle und zentnerschwere Traktorreifen – aufheben, umstoßen – warten auf gestählte Körper. Von der Decke baumelt ein Seil, das die, die es mögen, hinaufklettern können. Genau so stellt man ihn sich vor, den Hobbykeller von Felix Magath, jenem Fußballlehrer, den sie Quälix rufen.
Es ist kurz nach sieben, als die Anfängergruppe auf der Gummimatte schuftet, allesamt Hobbysportler – wenn überhaupt. Kniebeugen, Liegestütze, Bauchmuskelübungen. 100 Stück, hintereinander. Pausen? Sie wissen schon: Gehört nicht ins Konzept. Nach nicht einmal 45 Minuten ist das Training beendet. „Ich quäl’ mich lieber zehn Minuten und hab’s hinter mir als eine Stunde“, sagt Deni Halilovic, 37. Seine Frau und die beiden Kinder werden es ihm danken.
Kritik von Sportwissenschaftlern
Sportwissenschaftler stehen Crossfit mindestens skeptisch gegenüber. „Die Grundidee ist gut, aber die Leute werden kaputt trainiert“, sagt Dr. Till Sukopp, zumal der Trainerschein innerhalb eines Wochenendkurses zu erlangen ist – „deshalb gibt es viele schwarze Schafe“, so Sukopp. Die Gefahr einer körperlichen Überlastung sei groß, Verletzungen kämen nach Sukopps Erkenntnissen häufig vor. Schwitzen, stöhnen, umkippen? „Bisher ist noch keiner umgefallen“, sagt Schiffmann, „zumindest nicht während des Trainings.“
Wird sich Crossfit durchsetzen und bald vielleicht sogar Fitnessstudios Konkurrenz machen? Markus Schiffmann schüttelt den Kopf: „Nein, dafür ist es zu hart und zu speziell. Ich stehe ja in Dortmund derzeit allein gegen 85 Fitness-Studios an.“ In den USA ist es inzwischen sogar genau andersrum. Und in Kopenhagen gibt es eine Box, die 1100 Mitglieder hat. In Dortmund sind es nach zwei Monaten immerhin schon knapp 100.
Es ist 20 Uhr, die Gladiatoren sind längst entschwunden. Draußen auf einem freien Feld, direkt gegenüber der Eingangstür, liegen meterlange Baumstämme. Entwurzelt und ordentlich übereinander gestapelt. Lagen die eben schon da? Wenn nicht: Wer von denen war das?