Berlin. Das Berliner Neutralitätsgesetz ist Auslegungssache. Nun wird eine Kopftuch tragende Lehrer-Bewerberin entschädigt. Das ist umstritten.


Bereits im Vorstellungsgespräch ging es um ihr Kopftuch– wenig überraschend für eine Informatikerin aus Berlin, die als Quereinsteigerin Lehrerin werden wollte, bekam sie dann auch keinen Job. Doch die Frau akzeptierte die Entscheidung gegen sie nicht und zog vor Gericht. Nun muss das Land Berlin ihr Schadensersatz zahlen.

Das Urteil ist von besonderer Bedeutung: Immer wieder wird um die Frage, ob Kopftuch tragende Pädagogen ein Problem sind oder nicht, gerungen. Es ist nicht das erste Mal, dass Berlin aufgrund einer Diskriminierung zahlen muss.

Im aktuellen Fall bekam die bekennende Muslima eineinhalb Monatsgehälter zugesprochen, das entspricht 5981 Euro.Für das Landesarbeitsgericht stand in diesem Fall fest: Sie sei aufgrund ihrer Religion benachteiligt worden.

Gleichwohl stellte der Richter das Berliner Neutralitätsgesetz, das Polizisten, Justizmitarbeitern und Lehrern an allgemeinbildenden Schulen das Tragen religiös geprägter Kleidungsstücke im Dienst untersagt, nicht infrage. Es sei verfassungskonform auslegbar.

Im Einzelfall keine konkrete Gefahr für den Schulfrieden gegeben

Im konkreten Einzelfall sei allerdings keine konkrete Gefahr für den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität durch das Kopftuch erkennbar gewesen, so das Gericht. Dies sei nach einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahr 2015 aber Voraussetzung für ein allgemeines Verbot religiöser Symbole an Schulen.


Ihr wurde keine Entschädigung zugesprochen. Im Februar 2017 dagegen bekam eine Lehrerin Recht – und fast 8700 Euro.

Berlin will gegen das Urteil Revision vor dem Bundesarbeitsgericht einlegen. Das kündigte die Anwältin des Landes, Seyran Ates, an. Die Argumentation der Richter sei aus ihrer Sicht „fehlerhaft“, sagte sie.

Bereits im Vorjahr hatte das Landesarbeitsgericht in einem anderen Fall ähnlich geurteilt. „Religiöse Konflikte werden nicht gelöst, wenn eine Frau mit Kopftuch vor die Klasse tritt“, erklärte sie der Berliner Zeitung.

Gericht wertet Vorgang als Diskriminierung aus religiösen Gründen

Im aktuellen Fall ist es so: Die Muslima hatte sich als Quereinsteigerin für eine Stelle in einer Sekundarschule, einem Gymnasium oder einer Berufsschule beworben.

Für die Berufsschule, für die das Neutralitätsgesetz im Unterschied zu allgemein bildenden Schulen nicht gilt, wurde die Klägerin mit Verweis auf andere, besser geeignete Bewerber abgelehnt. Für die anderen Schultypen erhielt sie kein Angebot.

Nach Überzeugung des Gerichts ist dies als Diskriminierung aus religiösen Gründen zu werten. Denn im Bewerbungsgespräch sei es von Anfang an auch um ihr Kopftuch gegangen. Die Vorinstanz hatte die Klage der Frau noch unter Berufung auf das Neutralitätsgesetz abgewiesen.

Einige Reaktionen auf das Urteil:

  • „Der Konflikt um das Neutralitätsgesetz sollte nicht weiter auf dem Rücken der betroffenen Frauen ausgetragen werden“, erklärte Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) zu dem jüngsten Urteil. Das Abgeordnetenhaus müsse das Neutralitätsgesetz verfassungskonform ausgestalten.
  • Die rot-rot-grüne Regierung der Bundeshauptstadt ist sich grundsätzlich nicht eins über die genaue Auslegung des Artikels. Während sich prominente Vertreter der Linkspartei und der Grünen wiederholt für eine Novelle ausgesprochen haben, hält die SPD mit dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) an der Spitze bislang an dem gegenwärtigen Gesetz fest.
  • Das Berliner Netzwerk gegen Diskriminierung und Islamfeindlichkeit (Inssan), das die Klägerin unterstützt hatte, bezeichnete das Neutralitätsgesetz und die darauf beruhende Einstellungspraxis als diskriminierend.
  • Die Grünen-Abgeordnete Bettina Jarasch begrüßte, dass es nun am Bundesarbeitsgericht eine höchstrichterliche Klärung des Problems geben werde.
  • Die FDP wertete das Urteil hingegen als falsches Signal. Staatliche Bildungsinstitutionen müssten die weltanschauliche Neutralität des Staates wahren.
  • Das Antidiskriminierungsnetzwerk Inssan erklärte, die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts zeige erneut die diskriminierende Einstellungspraxis des Landes Berlin. Frauen mit Kopftuch würden von der qualifizierten beruflichen Tätigkeit als Lehrerin ausgeschlossen, sagte Sprecherin Zeynep Cetin.

Gefahr ist gegeben, wenn Lehrkraft offensiv für Religion wirbt

Eine Sprecherin der Berliner Arbeitsgerichte erklärte der Deutschen-Presse-Agentur, verhältnismäßig wenige Verfahren zu religiöser Diskriminierung seien anhängig, die Zahl liege im einstelligen Bereich.

Dass die Frau keine Gefahr darstelle, gleichzeitig nicht definiert ist, was eigentlich eine Gefahr ist, stellt die Justiz beim Neutralitätsgesetz immer wieder vor Probleme.

Grundsätzlicher Konsens ist, dass eine Gefahr bestehe, wenn die Lehrkraft etwa offensiv für den eigenen Glauben werbe oder an Schulen unterrichte, in denen durch eine bestimmten ethnisch-religiösen Hintergrund dadurch Spannungen entstehen. (ses/dpa/epd)