Venice..
„BP war fair zu mir.“ Bert Wilson ist tatsächlich überaus gut durch die Katastrophe gekommen. Sicher vertäut liegt seine himmelblaue „Albatross“ im Fischereihafen von Venice, Louisianas südlichstem Ort. Den neuen Kutter hat sich der sehnige Fischer, unter dessen Kommando noch zwei andere Boote fahren, Ende letzten Jahres zulegen können. BP hatte den 59-Jährigen gut dafür bezahlt, in den dramatischen Wochen der Ölpest praktisch rund um die Uhr Ölsperren im Golf von Mexiko auszulegen.
120 Tage standen Wilson, seine neun Angestellten und die beiden Shrimps-Kutter auf den Lohnlisten des Ölgiganten British Petroleum. Finanziell hat der Job bei Tagessätzen von gut 2000 Dollar pro Boot weit mehr eingebracht als Garnelen zu ernten. „Es hat sich gelohnt“, sagt Wilson nüchtern und zieht an seiner Zigarette. Ungeduldig warten der Kapitän und seine Männer darauf, mit der „Albatross“ erstmals auf Fang zu gehen, wenn im Mai die neue Garnelen-Saison beginnt. „Wir hoffen auf eine gute Saison. Aber wer weiß?“
Am 20. April letzten Jahres war die Ölplattform „Deepwater Horizon“ im Golf von Mexiko explodiert. Elf Arbeiter starben. Fast drei Monate brauchte BP, um das sprudelnde Ölleck in 1500 Metern Tiefe abzudichten. 780 Millionen Liter Öl ergossen sich in diesen 87 dramatischen Tagen in den Golf – eine Menge, die das Desaster in Amerikas Süden zur größten Umweltkatastrophe in der Geschichte der USA machte. Ob sich das Öl tatsächlich weithin verflüchtigt hat oder ob es noch in veränderter Form vorhanden ist – darüber streiten Experten.
Austern-Zucht zerstört
Die Fischgründe sind derweil längst wieder freigegeben. Ölrückstände im Fisch wurden bei Reihentests bislang nicht gefunden. Kapitän Wilson bleibt trotz allem skeptisch. „Das Öl klebt am Meeresgrund. Und wenn das Wasser wärmer wird, steigt es nach oben“, fürchtet der Fischer. An manchen Strandabschnitten von Louisiana bis hinüber zu Floridas Pfannenstiel an der Grenze zu Alabama, landen immer wieder Teerklumpen und Ölnester an. „Das Öl ist überall“, klagt Cherri Foytlin aus Rayne, einem 9000-Seelen-Ort ein paar Kilometer landeinwärts. Auch im sensiblen Marschland des Mississippi-Deltas sei der zähe Schlick noch immer zu finden, räumte Küstenwachen-Commander Dan Lauer ein. „Aber wenn die Wurzeln gesund bleiben, wird sich das Gras erholen.“
Louisianas Austern-Zucht, ein 380-Millionen-Dollar-Geschäft, liegt derweil längst am Boden und wird sich so schnell nicht erholen. Bis neue Austern erntereif sind, werden Jahre vergehen. Louisianas Garnelen-Industrie mit ihren Milliarden-Umsätzen wird es ebenfalls das Genick brechen, wenn sich mit Start der neuen Saison tatsächlich ölverschmierte Shrimps in den Netzen finden.
Lieber Fleisch statt Fisch
Die Kunden sind ohnehin skeptisch genug. Kellnerin Serena aus dem „Landry&180’s“, einem Fisch-Restaurant im Norden von New Orleans, muss besorgten Gästen regelmäßig versichern, dass Fisch und Garnelen schmackhaft und unbedenklich sind wie eh und je. So mancher wählt dann doch lieber Fleisch. Die Verunsicherung ist groß. Selbst Einheimische essen längst nicht mehr jeden Tag Fisch oder Garnelen. In Sallys Imbiss auf halber Strecke nach Venice kann man sein Jambalya, Louisianas kreolischen Reiseintopf, inzwischen auch allein mit Hühnchen essen. Auf die Idee wäre vor der Ölpest niemand gekommen.
Noch lässt sich nicht abschätzen, welche Langzeitfolgen und -schäden das Öl, aber vor allem auch die fast vier Millionen Liter giftiger Chemikalien haben, die BP-Flugzeuge bis zum Einspruch der US-Umweltbehörde versprühten, um die Ölschwaden aufzulösen. Offiziell hat der Konzern die Katastrophe abgehakt. Die Armee der Ölbekämpfer am Golf ist von einst 48 000 auf 2000 Mann geschrumpft, die letzte ölverdreckte Strandabschnitte säubern. In ganzseitigen Anzeigen preist BP sein Engagement bei der Ölpest-Bekämpfung in den Lokalzeitungen.
Gelegenheit abzukassieren
Und noch immer haben die Anwälte gut zu tun, die auf großen Werbetafeln auf der endlos langen Straße von New Orleans hinunter nach Venice ihre Dienste anpreisen. „Klage zurückgewiesen? Entschädigung zu gering? Rufen Sie uns an“, heißt es auf den großformatigen Plakaten der Kanzleien aus New Orleans oder Baton Rouge.
Für andere wiederum war die Ölpest offenbar eine gute Gelegenheit, Kasse zu machen. Regionale Unternehmen mit Beziehungen zu lokalen Amtsträgern stellten BP für die Ölbekämpfung Leistungen in Rechnung, die jedes Maß sprengten. 1,1 Millionen Dollar Monatsmiete kassierte ein Unternehmen von BP für die Überlassung eines Grundstücks, das es selbst für 1700 Dollar im Monat angemietet hatte. Leute ohne jede Erfahrung in der Fischerei kauften schnell alte Boote, um sich als Ölbekämpfer bei dem Ölkonzern zu hohen Tagessätzen zu verdingen.
Die Ölpest als Chance
Ein Landkreis im Osten von New Orleans nahm im letzten Jahr sogar doppelt so viel Mehrwertsteuer ein wie im Jahr zuvor, ein Indiz für überaus rege Umsätze im Handel. Neue Autos, neue Boote – für einige in dem schwer betroffenen Landkreis war die Ölpest eine Gelegenheit, sich für vorangegangene Katastrophen zu entschädigen. „Eine solche Chance kommt nur einmal im Leben“, zitierte die „Washington Post“ einen Subunternehmer.
In Maßen war das verständlich. Im August 2005 hatte der Wirbelsturm „Katrina“ den Landkreis komplett verwüstet und unter Wasser gesetzt. Fast die Hälfte der Einwohner, rund 30 000 Menschen, hat der Region seither den Rücken gekehrt. So klamm war der Kreis vor der Ölpest, dass niemand wusste, woher noch das Geld kommen sollte für die Feuerwehr, die Müllabfuhr, die Moskito-Bekämpfung. Mit der Ölpest sollte sich das ändern.
Heute ist selbst das Geld vorhanden, um das Gras auf den Deichen zu mähen. BP hat das Spiel mitgemacht. „Wir wussten, was da lief und lächelten noch, wenn wir 20 oder 30 Prozent über dem Marktpreis zahlten“, erzählte ein BP-Mann dem „New Yorker“. Sich zu weigern und Geldgier anzuprangern, hätte einem Unternehmen auch schlecht zu Gesicht gestanden, das in den Monaten der Ölpest in den USA selbst zum Synonym unternehmerischer Profitgier und Rücksichtslosigkeit geworden war.