London..
Die britische Zeitung „News of the World“ soll die Handys von Toten ausgespäht haben. Jetzt steht das Blatt von Medienmogul Rupert Murdoch selbst am Pranger: Die Methoden der Redaktion könnten ihn teuer zu stehen kommen.
Enthüllungsgeschichten über Reiche und Schöne liest man gern, selten interessiert dabei, wie die Reporter an die Details kommen. Doch in Großbritannien werden nun ausgerechnet die Skandaljäger zu den Gejagten: Weil sie Handys von toten Kindern und Terror-Verletzten abgehört haben soll, steht jetzt die „News of the World“ am Pranger. Medienmogul Rupert Murdoch könnten die Methoden seiner Redaktion teuer zu stehen kommen.
Ausgerechnet zum Jahrestag der Londoner 7/7-Terroranschläge kämpfen die Hinterbliebenen mit neuen Hiobsbotschaften. Im größten Medienskandal des Königreiches sind sie nun von Scotland Yard kontaktiert worden, weil ihre Handys vermutlich von der „News of the World“ angezapft wurden, als ihre Angehörigen im Sterben lagen. Damit ist für viele Briten, die rüde Recherchen durchaus für sinnvoll und notwendig halten, die Schmerzgrenze überschritten.
Wie ernst die Lage ist, zeigte gestern eine für alle Abgeordneten einberufene Notsitzung im Unterhaus. Parlamentarier forderten darin offen den Rücktritt der verantwortlichen Führungskräfte, sofern sie „noch eine Faser Anstand besitzen“. Demnach müsste es jedoch in der Londoner Medienlandschaft bald viele offene Stellen geben. Ein Gutachten des Informationsbeauftragten der Regierung, Richard Thomas, listet nämlich Hunderte Fälle auf, in denen nahezu alle Boulevard-Redaktionen Detektive nutzten.
Polizeibeamte gaben indiskrete Tipps für Schmiergelder
Während die Polizei ermittelt - sogar ihre eigene Mordkommission war von der Presse observiert worden - will Premier David Cameron eine Untersuchungskommission einrichten. „Wenn die Vorwürfe sich bewahrheiten, ist der Sachverhalt schauderhaft“, sagte er, „die Polizei möge ihre Untersuchung vorantreiben - ganz egal, wohin die Beweise sie führen.“
Dabei ist schon jetzt klar, dass die Fährte auf den engsten Kreis des Regierungschefs weist. Und das nicht zum ersten Mal. Camerons Pressesprecher Andrew Coulson musste im Januar zurücktreten, weil er in seinem alten Job als Chefredakteur der „News of the World“ illegale Methoden abgesegnet hatte. Gestern stellte sich heraus, dass es offenbar auch zu Coulsons Arbeitsweise zählte, Polizeibeamten Schmiergelder für indiskrete Tipps zu zahlen. Nun wackelt der Stuhl einer weiteren Cameron-Vertrauten. Rebekah Brooks, zurzeit Geschäftsführerin der „News of the World“, wird vorgeworfen, höchstpersönlich Privatdetektive zur „Recherche“ gebucht zu haben. Als Murdochs rechte Hand im Königreich hatte Brooks diese Praxis bisher immer als fehlgeleitetes Verhalten einiger Einzelredakteure dargestellt.
Doch Brooks trug als Ex-Chefredakteurin direkte Verantwortung für ihre Mitarbeiter, als sich der pikanteste Skandal ereignete. Im März 2002 heuerte das Blatt private Ermittler an, die sich in die Mailbox der vermissten Milly Dowler einwählten. Die Detektive erhofften sich ein paar saftige Schlagzeilen aus den Handy-Nachrichten - und löschten die verzweifelten Botschaften, die die Eltern ihrem Kind hinterließen, um Platz für neue Nachrichten zu schaffen. Polizei und Eltern waren deshalb lange im Glauben, dass Milly noch leben und ihr Telefon nutzen würde. In Wahrheit war die 13-Jährige bereits tot.
Für ein paar billige Schlagzeilen belauscht
Graham Foulkes, der seinen 22-jährigen Sohn bei den Londoner Terroranschlägen verloren hat, fand gestern gegenüber der BBC klare Worte. „Meine Frau und ich waren nach dem Unglück ständig in der Stadt unterwegs und haben währenddessen sehr persönliche und emotionale Telefonate mit Freunden geführt“, so Foulkes, „der Gedanke, dass wir von Fremden für ein paar billige Schlagzeilen belauscht worden sein könnten, ist erbärmlich.“
Für die „News of the World“, gegen die bereits seit 2005 ermittelt wird, ist dies jedoch erst der Anfang von einer Menge Ärger. Gestern haben viele lukrative Anzeigenkunden dem Blatt den Rücken gekehrt. Unter den Abgängen befinden sich Marken wie Renault, Ford und Opel-Schwester Vauxhall. T-Mobile, Easyjet, Aldi und Tesco beraten sich unbestätigten Berichten zufolge über die nächsten Schritte. Allein Ford soll mit 4,5 Millionen Euro ein Zehntel des jährlichen Anzeigeneinkommens der Zeitung finanziert haben.