Mexiko-Stadt. Florence Cassez in Freiheit: Mexikanische Richter hatten die Französin wegen Entführung zu 98 Jahren Gefängnis verurteilt. Doch jetzt steht fest: Die Verurteilung fußt auf groben Fehlern der Ermittlungsbehörden. Nun hat das Oberste Gericht die Französin überraschend freigesprochen.

Endlich wieder daheim in Frankreich: Das Oberste Gericht in Mexiko-Stadt hat die Französin Florence Cassez nach sieben Jahren Haft überraschend freigelassen. Eine knappe Entscheidung mit drei gegen zwei Richterstimmen. Die heute 38-Jährige war 2005 wegen mutmaßlicher Entführungen in Mexiko zu 60 Jahren Haft verurteilt worden. Ihre Freilassung löste in Frankreich eine Woge kollektiver Freude aus. Cassez wird gefeiert wie eine Heldin.

Als der Air-France-Jumbo am Donnerstagmittag um kurz vor zwei Uhr auf dem Pariser Flughafen Charles de Gaulle aufsetzt, stehen Außenminister Laurent Fabius und der Verkehrsminister auf dem Rollfeld – als Begrüßungskomitee für eine willensstarke Frau, die den größten Kampf ihres Lebens gewonnen hat. „Ich habe die Hoffnung nie aufgegeben“, sagt die sichtlich gerührte 38-Jährige. Den Augenblick der Freilassung habe sie zuerst wie einen „Schock“ erlebt. Dann fügt sie hinzu: „Ich bin unschuldig und frei.“

Die „Causa Cassez“ handelt von einem monströsen Justizskandal, der obendrein die diplomatischen Beziehungen zwischen Frankreich und Mexiko bis auf den Gefrierpunkt abkühlen lässt. Auslöser ist ein Kriminalfall, der gut sieben Jahre zurückliegt. Am 8. Dezember 2005 nimmt die mexikanische Polizei Israël Vallarta und seine Freundin Florence Cassez fest. Ihnen werden drei Entführungen sowie die Gründung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen. Er gilt als Kopf der „Zodiak“-Bande, sie als Komplizin. Tags darauf kommt es zur zweiten „Verhaftung auf frischer Tat“, die auf Wunsch der Polizeiführung fürs Fernsehen noch einmal medienwirksam in Szene gesetzt wird. Zwar räumt das mexikanische Bundeskriminalamt später diese Manipulation und andere ein, doch im März 2008 wird die Französin zu einer Haft von 96 Jahren verurteilt, die im Jahr darauf auf 60 Jahre herabgemildert wird.

Nur Wut und Hass

Florence Cassez, vor der Verhaftung eine energische und lebensfrohe Frau, beteuert stets, von den Entführungen nichts gewusst zu haben. Doch Zeugen behaupten, am Tatort eine Französisch-sprechende Frau gehört zu haben. Einige widerrufen später ihre Aussage. Heute sagt sie: „Ich spürte damals nur noch Wut und Hass.“

Daheim in Frankreich bildet sich unterdessen ein Unterstützer-Komitee, dem Schauspieler und Regisseure angehören. Das herzzerreißende Foto der jungen Französin – tieftraurig und mit feuchten Augen hinter den Gitterstäben ihres Kerkers – wühlt die ganze Nation auf. Doch Charlotte und Bernard Cassez, die Eltern, schöpfen erst wieder Mut, als der Staatspräsident sie im Elysée-Palast empfängt und sich für ihre Tochter einsetzt. „Nicolas Sarkozy hat mein Leben gerettet“, bedankt sich Florence Cassez bei der Rückkehr. Typisch Sarko: Als Frankreich 2011 im großen Stil das „Mexiko-Jahr“ feiern will, widmet er die Konzerte, Lesungen und Ausstellungen kurzerhand der prominenten Gefangenen. Für Mexikos Präsidenten Félipe Caldéron eine unerträgliche Provokation, er sagt den Veranstaltungsreigen pikiert ab.

Leben und glücklich sein

Hat Florence Cassez davon profitiert, dass in Mexiko ein neuer Präsident an der Macht ist? Ihre Mutter ist fest davon überzeugt. Als sie am Mittwoch in Paris von der Freilassung erfährt, sagt sie erleichtert: „Es ist wunderbar, ich kann’s nicht glauben.“

Auch Florence Cassez, obwohl schon französischen Boden unter den Füßen, kann ihr Glück noch nicht fassen. „Zehntausend Mal“ habe sie in der Haft davon geträumt, nach Frankreich zurückzukehren, gesteht sie. „Jetzt will ich leben und glücklich sein.“