Wissenschaftler vermuten, dass Pflanzenschutz-Klassiker wie „Round Up“ krank machen. Im Magen-Darm-Trakt werden durch den Wirkstoff Glyphosat „gute“ Bakterien abgetötet, glauben sie. Seit 1995 hat sich die Menge des verkauften Herbizids in Deutschland verdreifacht.
Das weltweit am häufigsten eingesetzte Pflanzenschutzmittel „Glyphosat“ steht im Verdacht, längst nicht so ungefährlich zu sein, wie bisher behauptet. Forscher der Uni Leipzig fanden Hinweise, dass auch Menschen das Gift möglicherweise über die Nahrungskette aufnehmen.
„Glyphosat“, das beispielsweise in Mitteln wie „Round Up“ enthalten ist, gilt als einfach anzuwenden und effektiv: Unkraut verdorrt schon kurz nachdem das Herbizid verspritzt ist, Nutzpflanzen können ungehindert wachsen. Der Wirkstoff sei „im Vergleich zu anderen Pflanzenschutzmittel-Wirkstoffen eher als wenig giftig anzusehen“, glaubt bisher das Bundesamt für Verbraucherschutz. Und auch das NRW-Umweltministerium sieht Glyphosat „aus Umwelt- und Gesundheitssicht als unproblematisch“ an. Doch nach Auffassung von Wissenschaftlern muss dringend eine Neubewertung erfolgen.
Verkaufsmenge hat sich seit 1995 verdreifacht
Seit Jahren steigt die Menge des verkauften Giftes in Deutschland: Seit 1995 hat sie sich mehr als verdreifacht – vor allem nachdem das Patent des Erfinders Monsanto ausgelaufen ist und auch Nachahmer-Herbizide auf den Markt drängen. Damit sank auch der Preis. Und das Herbizid wird häufiger angewendet – bei Hobby-Gärtnern, vor allem aber in der Landwirtschaft. Das Gift wird dort nicht mehr nur auf den Acker gespritzt, bevor das Getreide wächst, sondern in manchen Fällen auch auf das fast fertige Korn.
Die Behandlung ungleichmäßig reifer Getreidebestände erfolgt wenige Tage vor der Ernte. Dadurch werden die grünen Bestandteile des Getreides schon am Halm trocken (siehe Stichwort Vor-Ernte-Sikkation). Die Leipziger Wissenschaftler fürchten, dass so auch das frisch ausgebrachte Glyphosat über die Körner in Lebensmittel gelangen könnte.
Untersuchungen des Bundesamtes für Verbraucherschutz gaben darauf bislang jedoch wenig Hinweise. Allerdings wurden bundesweit im Jahr 2010 nur 197 Proben untersucht.
„Meine persönliche Meinung ist: Das Zeug ist kreuzgefährlich“, sagt Prof. Dr. Monika Krüger, Leiterin des Leipziger Instituts für Bakteriologie und Mykologie. Seit Jahren forscht die Tiermedizinerin, warum auf Bauerhöfen immer öfter Tiere erkranken – viele an „chronischem Botulismus“. In zahlreichen Rinderbeständen werde eine Erkrankung des Bewegungsapparates festgestellt, Fruchtbarkeitsstörungen, Verdauungsprobleme, Schwäche, Auszehrung und Lähmungen. Krügers Hypothese: Glyphosat ist dafür verantwortlich, dass das bakteriologische Gleichgewicht in der Magen-Darm-Flora der Tiere gestört wird. Während der Wirkstoff „gute“ Bakterien abtöte, würden potenziell krankmachende Bakterien wie „Clostridium botulinum“ resistent und brächten so die Darmflora aus dem Gleichgewicht. „Und das ist eine enorme Belastung für den Körper von Tieren wie Menschen“, weiß Prof. Krüger.
Studien legen Gesundheitsgefahr nahe
In Studien sei bereits nachgewiesen, dass der wiederholte Einsatz von Glyphosat-Herbiziden dazu führe, dass die Bodenmikrobiotika verändert würde, sagt die Leipziger Forscherin. In der Erde der Äcker vorkommende natürliche Bakterien würden nach und nach quasi totgespritzt. Weil aber ein großer Teil der Mikroorganismen im Magen-Darm-Trakt dem im Boden ähnlich sei, könnte Glyphosat auch dort eine vergleichbare Wirkung haben, vermuten die Wissenschaftler, nachdem sie andere Ursachen als Grund für die Erkrankung der Rinderbestände ausgeschlossen haben.
So wurde mit einem neuen Testverfahren das Urin von 400 Rindern aus erkrankten Beständen untersucht – in fast allen Proben fanden sie Glyphosat.
Herbizid-Spuren im Urin
Erstaunt waren sie, als sie auch Urin von Menschen untersuchten: Allesamt Stadtmenschen, die nicht direkt mit Glyphosat in Kontakt waren. Auch sie hatten das Herbizid ausgeschieden. „Das ist ein Hinweis darauf, dass es diese Personen möglicherweise mit der Nahrung aufgenommen haben“, sagt Prof. Krüger. Ob dadurch auch Menschen eine ähnliche Gefährdung drohe wie den untersuchten Tieren, könne sie jedoch nicht sagen. „Da muss sich die Humanmedizin verstärkt drum kümmern.“
Tatsächlich gibt es aber zu dem meistverkauften Herbizid-Wirkstoff Glyphosat vergleichsweise wenig wissenschaftliche Untersuchungen. Während ein Zusatzstoff der Herbizide, sogenannte „Tallowamine“, demnächst nicht mehr zugelassen werden, steht Glyphosat selbst nicht auf der „Roten Liste“.
Eigentlich sollte bis zu diesem Jahr eine Neubewertung des Wirkstoffes auf EU-Ebene vorgenommen werden – unter deutscher Federführung. Doch daraus wird nichts. Die Frist wurde bis 2015 verlängert, teilte das Bundesamt für Verbraucherschutz der WR mit. Die Zeit für das Neubewertungsverfahren habe nicht ausgereicht. Die Industrie habe erst im Mai 2012 ihre Dossiers vorgelegt. Diese Papiere werden für die Neubewertung zu Rate gezogen.