Tübingen. Immer mehr Frauen suchen Hilfe, weil ihnen die Zwangsverheiratung droht. Das teilt die Menschenrechtsorganisation Terre des Femmes mit, bei der im vergangenen Jahr knapp 200 Frauen und Mädchen um Rat fragten. Ein Drittel der Hilfesuchenden erhielt sogar Morddrohungen.
Einen deutlichen Anstieg von Hilferufen wegen Zwangsverheiratungen hat die Menschenrechtsorganisation Terre des Femmes 2008 in Deutschland registriert. Allein bei dieser Organisation meldeten sich 197 Frauen und Mädchen, die von einer Zwangsehe oder Gewalt im Namen der «Ehre» bedroht oder betroffen waren. Dies sei ein Anstieg von 15 Prozent gegenüber dem Vorjahr, teilte die Organisation am Donnerstag mit. «Die Dunkelziffer liegt sehr viel höher», sagte Jasmine Olbort, Referentin für Einzelfallhilfe bei Terre des Femmes.
Morddrohungen
Insgesamt einem Drittel der hilfesuchenden Frauen sei zum Zeitpunkt ihres Anrufes bereits mit Mord gedroht worden. Bei den Anruferinnen handelte es sich laut Olbort vor allem um Frauen, die aus der Türkei, den Kurdengebieten in Syrien, im Iran und im Irak sowie dem Kosovo, dem Libanon und Indien stammen.
Rund einem Viertel von ihnen drohten Heiratsverschleppungen in das Elternland», sagte Olbort der AP. Den Frauen dort zu helfen sei besonders schwierig. Oft betreffe dies Mädchen, die erst 15 bis 20 Jahre alt seien.
Hilfe bei der Flucht
Terre des Femmes berät die Frauen ausschließlich telefonisch, hilft ihnen aber bei der Planung der Flucht aus der Familie. «Dies ist im Allgemeinen die einzige Chance, die die Frauen haben», sagte Olbort. So suche die Organisation einen Platz in einer Schutzeinrichtung oder kontaktiere bei Jugendlichen das Jugendamt.
Die zunehmenden Hilferufe erklärt Terre des Femmes sowohl mit einer möglichen Zunahme von Zwangsverheiratungen als auch mit mehr Mut bei den Frauen. «Frauen werden etwas selbstbewusster», sagte Olbort und fügte hinzu: «Mittlerweile ist das Thema nicht mehr völlig tabuisiert.»
Fälle wie der der 2008 in Hamburg von ihrem Bruder erstochenen Deutsch-Afghanin Morsal O. oder der 2005 in Berlin erschossenen Deutsch-Kurdin Hatun Sürücü würden aufrütteln. «Dennoch wird noch viel zu wenig darüber geredet.»
Studie im Auftrag des Bundesfamlienministeriums
Andere Beratungsstellen melden laut Terre des Femmes ähnlich viele Hilfesuchende pro Jahr, eine bundesweite Erfassung aller Fälle gibt es noch nicht. Im Auftrag des Bundesfamilienministeriums wird Terre des Femmes aber nach eigenen Angaben in den nächsten ein bis anderthalb Jahren eine entsprechende Studie erstellen. Außerdem hat die Organisation im vergangenen Dezember mit der Einrichtung einer bundesweiten Koordinierungsstelle zum Thema Zwangsheirat und Gewalt im Namen der «Ehre» begonnen. (AP)