Berlin.

Was macht einer, der allein übrig bleibt, nach fast 70 Jahren Ehe? Altkanzler Helmut Schmidt spricht nach dem Tod seiner Frau Loki zum ersten Mal in Interviews über das Leben als Witwer – und den Schmerz, in der Todesnacht nicht bei seiner Frau gewesen zu sein.

Oft sind es die Frauen, die ihre Männer um Jahre überleben. Trauernde Witwer dagegen sind seltener. Auch deshalb berühren die Sätze des 91-Jährigen besonders. Weil sie durch den Panzer männlicher Selbstbeherrschung und hanseatischer Kühle nach draußen gefunden haben. Helmut Schmidt versucht weiterzuleben, sich an das Leben ohne Loki zu gewöhnen. „Aber“, sagt er dem „Hamburger Abendblatt“, „es fällt schwer.“

Sinnbild für die Einsamkeit

Das Bild dazu hat sich eingeprägt: Ein zutiefst verwundeter alter Mensch sitzt Anfang November bei der Trauerfeier im Hamburger Michel. Es ist der Altkanzler, dieser kantige Jahrhundertmensch, aber es ist auch ein Sinnbild für die Einsamkeit, die der Tod für die Überlebenden mit sich bringt. Ob ihn die Anteilnahme der Hamburger ein bisschen getröstet hat, das Mitgefühl von Millionen Deutschen?

Schmidt ist ehrlich. Mit 91 Jahren muss man keinem mehr gefallen. „Da konnte mich nichts trösten“, sagt er der „Bild“-Zeitung. Unendlich traurig sei er gewesen. Dabei weiß er: Loki und er sind viel älter geworden als der Durchschnitt seiner Generation. Aber das hat Folgen. Helfen ihm alte Weggefährten, gute Freunde? „Die meisten sind ja tot.“ Wochen vor der Todesnacht ahnt Schmidt, „dass es zu Ende geht“ mit der Liebe seines Lebens. Aber er rechnet noch „mit ein, zwei Wochen mehr“. Reist also noch einmal nach Berlin, fehlt eine Nacht lang am Sterbebett.

„Mutt ja“, sagt Helmut Schmidt

Es ist Tochter Susanne, die ihre Mutter in den letzten Stunden begleitet. Schmidt schmerzt dieses Fernsein, es macht ihn einsilbig. „Ja“, sagt er nur auf die Frage, ob ihm das Geschehen auf der Seele liege. Beide Eheringe trägt er jetzt. Lokis Ring sitzt am kleinen Finger. Zeit für einen Besuch am Grab hat er noch nicht wieder gehabt, hat sich in die Arbeit gestürzt, liest fünf, sechs Zeitungen täglich, raucht Zigaretten, nimmt Schnupftabak, schreibt Beiträge in seinem Büro bei der Hamburger „Zeit“. „Mutt ja“, sagt er. Muss ja weitergehen. Und: „Ein paar Jahre habe ich wahrscheinlich noch.“

Es sind die Nebensätze, in denen das ganze Ausmaß der Einsamkeit steckt. Nein, sagt Schmidt, er koche sich nichts, das übernimmt die Haushälterin. Fernsehen gehe übrigens auch nicht. „Bin ja fast taub.“ Aber es gibt Abwechslung. Mitte letzter Woche ist Schmidt mit dem Zug nach Berlin gefahren, es war der erste öffentliche Auftritt nach der Trauerfeier. Anlass war die Jahrestagung der Deutschen Nationalstiftung, gegründet auf seine Initiative. Er soll bis zum späten Abend geblieben sein.