New York. .
Gerüchte über Betrügereien in großem Stil kursierten schon länger in „Little Odessa“, wie der Stadtteil im Süden Brooklyns wegen seines hohen Anteils von Einwanderern aus Russland und der Ukraine genannt wird. Dort vor allem schalteten die Mittelsmänner der Betrüger, die Gelder aus deutschen Hilfsfonds für überlebende jüdische Holocaust-Opfer abzweigten, Anzeigen in russischsprachigen Zeitungen, um neue Mittäter zu ködern. Doch nicht alle der oft hochbetagten Überlebenden des NS-Terrors, die Anträge auf Entschädigungen für erlittenes Unrecht in der Nazi-Zeit einreichten, wussten wohl, worauf sie sich einließen.
Ihre Geburtsurkunden und andere Dokumente wurden erst später frisiert, damit Geld aus Deutschland floss. In „Little Odessa“ ist die Empörung über die Machenschaften groß. „Das ist ein Verbrechen. Nun sollen sie bezahlen“, sagte in der „New York Times“ der 85-jährige Viktor Kason, der die NS-Vernichtungslager überlebte und später in die USA auswanderte.
Über anderthalb Jahrzehnte hinweg hatten mindestens sechs Angestellte der New Yorker „Jewish Claims Conference“ (JCC), die seit 1951 Entschädigungsansprüche jüdischer NS-Opfer gegen die Bundesrepublik Deutschland vertritt, Dokumente und Lebensläufe gefälscht und damit rund 42 Millionen Dollar aus deutschen Entschädigungsfonds für NS-Opfer veruntreut. Elf weitere Personen, die vor allem Antragsteller rekrutierten und ebenfalls ihren Anteil an den Hilfszahlungen aus Deutschland abbekamen, wurden verhaftet.
Ihnen allen drohen bis zu 20 Jahre Haft und hohe Geldstrafen. Als Chef des Betrügerrings gilt Semen Domnitser, der bei der New Yorker „Claims Conference“ über Jahre die Oberaufsicht über zwei Töpfe des Entschädigungsfonds hatte und bereits im Februar, zusammen mit zwei weiteren Mitarbeiterinnen, gefeuert wurde. Bei der „Claims Conference“ ist die Bestürzung über die Betrügereien groß. „Wir sind aufgebracht, dass diese Leute Gelder für Überlebende der NS-Zeit stahlen, um sich zu bereichern“, sagte JCC-Präsident Julius Bermann. Bereits im Juli waren die ersten 200 Fälle unrechtmäßiger Pensionszahlungen aufgeflogen. Doch das Ausmaß der Betrügereien hatte sich erst in dieser Woche offenbart. Elf Monate hatte die US-Bundespolizei FBI ermittelt. Staatsanwalt Preet Bharara sprach von „ärgerlichen Machenschaften in beträchtlichem Ausmaß“. „Gier“ war nach Ansicht der ermittelnden FBI-Direktorin Janice Fedarcyk das Motiv der Betrüger, die ihren Anteil an den bewilligten deutschen Entschädigungszahlungen kassierten. Die JCC hatte die Behörden alarmiert, nachdem sich bei internen Untersuchungen der Verdacht auf Betrügereien verhärtet hatte. Im Laufe der Jahre wurden die Betrüger wohl nachlässiger. In einem Fall sei ein und dasselbe Foto in gleich vier Pässen verwandt worden, heißt es. Eine Reihe von Anträgen, in denen Leidenswege geschildert wurden, waren fast wortgleich.
6000 erhielten zu Unrecht Geld
Verdacht erregte auch die Geschwindigkeit, mit der eine langjährige Mitarbeiterin Semnitsers Anträge bewilligte.
Ihr genügten stets wenige Tage, während die aufwendige Überprüfung der Angaben normalerweise mindestens zwei Monate in Anspruch nehmen. Etwa 6000 Personen sollen über Jahre zu Unrecht Pensionszahlungen in Höhe von 411 Dollar monatlich oder Einmalzahlungen in Höhe von 3600 Dollar für angeblich erlittenes Unrecht während der NS-Zeit erhalten haben. Tausende von bewilligten Bescheiden sollen auf Falschangaben überprüft werden.
Die JCC hat unrechtmäßige Rentenbezieher inzwischen aufgefordert, das Geld zurück zu zahlen. Nur einige wenige sind der Aufforderung bislang nachgekommen. Einer schickte einen Scheck in Höhe von 30 000 Dollar. Um ähnliche Betrügereien künftig auszuschließen, hat die JCC dem New Yorker Büro die Zuständigkeit für die Bewilligung eingereichter Anträge entzogen. Dies soll fortan ausschließlich in den Niederlassungen in Deutschland und Israel geschehen.
Etwa 400 Millionen Dollar aus deutschen Entschädigungszahlungen leitet die „Claims Conference“ pro Jahr an überlebende jüdische NS-Opfer in aller Welt weiter.