Gorleben/Dannenberg.

Während die Menschen im Wendland weiter protestieren, kommt der Castor-Zug immer näher. Längst müssen die Demonstranten auch mit der Kälte kämpfen.

Vielleicht haben einige wirklich gedacht, sie könnten ihn aufhalten. „Wir stoppen den Castor!“, ruft jemand noch am Montagmorgen auf einem der lehmigen Maisfelder, auf denen die schweren Schuhe längst auch die letzten Stoppeln in den Dreck getreten haben. Doch der Applaus ist müde wie die Menge. Die Menschen kämpfen noch, aber der Zug, den sie „den Strahlenden“ nennen, kommt immer näher. Auch in den Letzten muss jetzt die Erkenntnis reifen, die Günter aus Bayern schon nachts auf den Gleisen gewonnen hat: „Es geht nicht darum, den Castor umzudrehen. Sondern darum, dass die Politik umgedreht wird.“

Und eine eindrucksvolle Demonstration von Demokratie sei es tatsächlich gewesen, was in der Nacht im Wendland geschah, loben Bürgerinitiativen. Ein paar tausend Leute saßen bei Harlingen auf den Schienen, mitten im Wald. Der Schlamm, das kann man sehen, als es Tag wird, ist ihnen mit der Kälte von den Füßen her den Körper hinaufgekrochen. „Saukalt“ ist ein liebevoller Ausdruck für das Gefühl, das Günter, der 67-Jährige, nicht mehr ausgehalten hat: Morgens lag Eis auf den Schlafsäcken.

Wer dabei war, wird mit roter Nase von der Stimmung erzählen, von der Blasmusik der Bands wie „Krach und Gerümpel“, von den Butterbrotpaketen, in die Anwohner auch Schokolade wickelten. Von den 100 Paar Wollsocken, die eine Frau für die Bauern gestrickt hat, von den Liedern, die sie sangen von Protest und Partisanen, und davon, dass nicht nur die Protestler tanzten, um sich aufzuwärmen, sondern sogar die Polizei.

Der Zeitplan hinkt

Dass die, ebenso erschöpft wie die Demonstranten, diese am Ende einzeln wegtragen musste, zwei-, dreihundert Meter durch den Wald – das macht, dass es auch andere Stimmen gibt. Die von Gewalt reden, „Bodenhaltung von Menschen“, die den Staat für moralisch bankrott erklären. Die, politisch links korrekt, an die „Schotterinnen und Schotterer“ erinnern, die Löcher ins Gleisbett gruben, „armtief“, immerhin. Die die Reaktion der Ordnungskräfte „Gasgranaten-Angriffe“ nennen. „Mit grundrechtskonformen Mitteln“, sagt ein Rechtsanwalt, „ist dieser Transport offenbar nicht zu organisieren.“

Aber zumindest für ein paar Stunden aufzuhalten: Zwölf Stunden stehen die elf Castoren, bevor sie gegen neun in Dannenberg ankommen, wo ein Kran sie vom Zug auf Tieflader hebt; bis zum Nachmittag ist gerade die Hälfte geschafft, der Zeitplan hinkt schon einen Tag hinterher – Laufzeitverlängerung für den Atomtransport.

In den langen Stunden am Verladebahnhof fällt eine merkwürdige Stille über das Wendland. An den Ausfallstraßen von Dannenberg werden die ersten Camps abgeräumt, junge Leute schnüren ihre schmutzigen Bündel, und über 100 Kilometer Landstraße wälzen sich Polizeikolonnen Richtung Autobahn – Bochum, Gelsenkirchen, Münster fahren nach Hause. Der Nebel hebt sich nicht mehr an diesem Tag; immerhin hat der Protest Farbklekse in die Landschaft gemalt, die nirgends so novembrig ist wie hier: Die Vogelscheuchen auf den nackten Feldern sind als Castorscheuchen verkleidet; Regentonnen tragen Protestgelb und selbst die Bäume entlang der endlosen Alleen. „Widerstand tut gut“, sagt ein Mann aus Metzingen, wo 120 Einwohner gerade 2500 Gäste haben.

Und die geben noch nicht auf, „das schlimmste Stück“, meldet „Radio Freies Wendland“, sei „immer noch die Straße“. 20 Kilometer muss der Castor noch rollen bis Gorleben, in Quickborn und Groß Gusborn warten Mahnwachen, aber es kommt kaum noch einer hin. Die Straßen sind dicht und „die Brücken störanfällig“, sagt ein Fährmann auf der Elbe, dabei sind es andere Störfälle, die die Menschen hier fürchten. Wo die Polizei nicht sperrt, legen Demonstranten Bäume quer, blockieren Trecker die Fahrbahn, und kurz vor dem Zwischenlager treibt eine Schäferin ihre Herde auf die Bundesstraße. 2000 Schafe sollen es insgesamt sein, ebenso viele Leute sollen dahinter hocken, sie brauchen Decken, heißt es. Eine 87-jährige Anwohnerin hat eine an ihren Zaun gelegt und Äpfel dazu. „Wissen Sie“, sagt sie ängstlich, „das Lager ist ja nicht so sicher.“

Abgesichert aber ist es wohl, und das steigert „die Wut auf die Regierung“, sagt eine Berlinerin. Die sei es doch, die gegen das Gesetz verstoßen habe – oder war der Atomausstieg etwa kein Gesetz? Das Volk aber kann nun nicht einmal mehr protestieren und den Transport schon gar nicht stoppen. Die Mahnwache von Gorleben hält also die Suppe warm, „einige Frustrierte erwarten wir noch“. Günter aber wird zufrieden heimfahren. Wenigstens im Wendland gewesen zu sein, glaubt er, „war mal wieder notwendig“.