Paris.

Das Kräftemessen zwischen Regierung und Gewerkschaften um die Rentenreform, gegen die seit Wochen Millionen Franzosen protestieren, ging gestern in die entscheidende Phase.

Die Polizei löste die Blockade einer Raffinerie auf, deren Öllager den Großraum Paris versorgt.

Die Raffinerie „Grandpuits“ vor den Toren von Paris: Jean-Michel Drevet, der Polizeipräfekt des Départements Seine-et-Marne, lässt seine mobile Einsatzhundertschaft an diesem Freitagmorgen absichtlich ein wenig friedfertiger als sonst antreten: ohne Helme, ohne Handschuhe. Ihr Auftrag: Sie sollen das seit Tagen von Streikenden blockierte Treibstofflager „beschlagnahmen“. Die Aktion geht – von einem Leichtverletzten abgesehen – ohne gravierende Zwischenfälle über die Bühne.

„Grandpuits“ ist nicht mehr blockiert. Der Präfekt begründet die „Beschlagnahmung“ mit einem „Notstands“-Dekret. Einige der streikenden Arbeiter werden gegen ihren Willen zwangsverpflichtet. „Wir sind doch nicht im Krieg“, schimpft ein Streikführer der kommunistischen CGT. Unmittelbar vor Beginn der zehntägigen Herbstferien an diesem Samstag will die Regierung in dem eskalierten Streit um die Rentenreform Härte und Entschlossenheit demonstrieren. Premierminister Francois Fillon verspricht „eine Rückkehr zur Normalität in wenigen Tagen“.

Preiswucher an vielen Tankstellen

Auch gestern erwies sich der Treibstoff-Kauf vielerorts als ein nervenaufreibendes Abenteuer. Energieminister Jean-Louis Borloo teilte mit, dass immer noch rund 20 Prozent der 12 300 französischen Tankstellen „trocken“ seien.

In Paris, von der Benzinknappheit am meisten betroffen, benötigen Autofahrer mitunter zwei Stunden, ehe ihr Tank einigermaßen voll ist. Skrupellose Tankstellenpächter versuchen Kapital aus der Notlage der Autofahrer zu schlagen. In Paris und anderswo erhöhen manche den Liter Sprit um 20 Cent und mehr. Die Schüler-und Studentengewerkschaft UNEF hat den kommenden Dienstag zu einem weiteren nationalen Protesttag erklärt. Laut Erziehungsministerium ist am Freitag wegen des Schülerstreiks an 185 Oberschulen der Unterricht ausgefallen.

Nachdem die Rentenreform die erste parlamentarische Hürde in der Nationalversammlung genommen hatte, versuchte die Regierung gestern, das Projekt von der zweiten Kammer, dem Senat, absegnen zu lassen. Selbst danach sind die Gewerkschaften entschlossen, in zwei neuen landesweiten Streiks gegen die Anhebung des Rentenalters von 60 auf 62 Jahre zu protestieren. Am 28. Oktober und am 6. November herrscht wieder Leerlauf in Frankreich – zum achten, beziehungsweise neunten Mal seit der Sommerpause.